Meine letzte RezensionDie Träume anderer Leutevon Judith Holofernes
2003 - Da passierte auf einmal etwas in der Musik-Szene: Der Ton war anders, die Texte ungewohnt offen und schlau. Kein heimlicher Kauf deutsch-sprachiger Alben mehr, der einen bisher stets als uncooles Weichei abstempelte. Wir sind Helden schrien mit ihrer Frontfrau auf dem Debut die Reklamation aus, offerierten mit dem zweiten Album "Von hier an blind" ein Gespür für unfassbar gute Pop-Melancholie und ließen die Hörer auf der letzten Platte mit der alles überdauernden "Ballade von Wolfgang und Brigitte" schweren Herzens zurück. Und dann? Judith beendete nicht nur die Heldenzeit, sie entschloss sich, Schluss zu machen. Dabei waren wir fast unsterblich verliebt in diese Frau, die das Leben so scheinbar leicht auf ihren Schultern, genauso wie mit ihren Worten nahm. Aber es war gar kein so leichtes Schwert, schreibt sie in ihren Erinnerungen über die Post-Helden-Zeit.
Und wir erfahren, dass es die Träume anderer Leute waren, das ganze Helden-Ding am Leben zu halten. Alles sagten ihr, sie müsse nur wollen. Doch sie wollte nicht, konnte nicht, hatte keine Kraft. Die Frau, zu der so viele aufsahen, die ein Vorbild für eine ganze Generation junger und selbstbewusster Frauen wurde, war müde und zu traurig, um Herz und Melancholie in Einklang zu bringen. In ihrem Buch erzählt sie nun von den Selbstzweifeln, der Einsamkeit, dem hohen Preis der Entbehrung, der Sehnsucht nach Ruhe und dem Wunsch nach inneren Frieden. Ein Solo-Album entstand, und noch eins und in allen Zeilen steht der Zwiespalt zwischen dem, was man bereit ist, zu geben und dem, was die Leute von einem erwarten. Auch dies kein leichtes Schwert.
Fast zwanzig Jahre später - dieses Buch fühlt sich nicht so gut wie ein neues Helden-Album - aber es ist ein Trostpflaster für alle, denen die Musik der Heldin und ihrer alten Band fehlt. Das Buch ist kurzweilig, auch witzig und hat die Leichtigkeit eines Abends mit der besten Freundin am Küchentisch. Aber die schweren Moll-Töne überwiegen und zeugen von der Einsamkeit, auch wenn die Welt jeden Tag lauter und aufregender wird. Doch die, die etwas zu sagen haben, versinken Hals über Kopf im eigenen Gefühls-Chaos, weil sie es nicht schaffen, das Leben so zu lieben, wie sie es gern lieben wollen. "Gekommen, um zu bleiben, wir gehen nicht mehr weg" gilt nur noch für die Songs der Helden. Für Judith gilt: "Keine Angst mehr, vor nichts und vor niemand. Nie wieder. Allein."