Meine letzte RezensionDie geheimste Erinnerung der Menschenvon Mohamed Mbougar Sarr
Als ich dieses Buch entdeckte, war es vollständig verhüllt. Kein Cover, keine Inhaltsangabe – nur eine schlichte Banderole mit einem kryptischen Satz: „Ein Roman über ein vergessenes Buch, das die Welt veränderte.“ Es klang nach Zafón, nach Márquez, nach dem leisen Staunen des magischen Realismus. Ich nahm es mit – und wurde nicht enttäuscht.
Mohamed Mbougar Sarr, geboren 1990 im Senegal, lebt und schreibt zwischen den Kulturen. Sein Roman, ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, ist nicht weniger als ein literarisches Ereignis: eine kunstvolle, tiefgründige Hommage an die Kraft des Schreibens – und eine Spurensuche nach Erinnerung, Herkunft und Wahrheit.
Inspiriert von der realen Figur Yambo Ouologuem erzählt Sarr von Diégane Latyr Faye, einem jungen Autor in Paris, der der Spur eines verschollenen Romans und seines Autors T.C. Elimane folgt – gefeiert, dann verstoßen, ausgelöscht. Diese literarische Spurensuche führt ihn über drei Kontinente, durch die Kolonialgeschichte, zwei Weltkriege und das Nachleben des Literaturbetriebs – und hinein in das Herz der Literatur selbst.
Was Sarr gelingt, ist selten: ein Roman, der den Glauben an Literatur nicht nur behauptet, sondern selbst ein Beweis dafür ist. Die Geschichte kreist um große Themen – Selbsttäuschung, kulturelle Emanzipation, die Spannung zwischen Schweigen und Schreiben – und das in einer Sprache, die fordernd, poetisch und zutiefst durchdacht ist.
Die ersten Kapitel wirken noch wie ein dichter Nebel aus Stimmen und Fragmenten. Man tastet sich voran, sucht Bedeutung, sucht Halt. Und plötzlich – wird man hineingezogen in diese Welt. Erzählebenen überlagern sich, Dokumente werden zu Figuren, die Zeit fließt rückwärts und vorwärts zugleich. Dies ist kein Buch, das man bloß liest. Es liest einen zurück.
Ja, es ist anspruchsvoll. Die Dichte der Sprache, die häufigen Perspektivwechsel, die literarischen Anspielungen fordern ein waches, aufmerksames Lesen. Doch wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt – mit einem Gefühl, das ich liebe: jenem tiefen Eintauchen, bei dem Lesen und Denken eins werden.
Und über allem schwebt diese eine, große Frage, die bleibt wie ein Echo: Leben – oder schreiben? Die geheimste Erinnerung der Menschen ist ein Roman für Leserinnen und Leser, die Literatur nicht nur konsumieren, sondern ernst nehmen – als Erinnerungsspeicher, als Widerstand, als Wahrheitssuche.