"Wann immer wir von einer großen Liebe erzählen, erzählen wir letztlich eine Spukgeschichte."
Benjamin Lebert erzählt von einer Liebe im Rhythmus der Gezeiten - und von der Faszination, die die Rätsel der Vergangenheit uns aufgeben.
Johannes Kielland ist ein junger Historiker, der seit seiner Kindheit ein leidenschaftlicher Sammler von Berichten über mystische Begebenheiten ist. Nun wird eine der Geschichten, die er ausgegraben hat, plötzlich lebendig. Die Frau eines in Sylt gestrandeten Toten wendet sich an ihn und erzählt ihm die Geschichte einer mysteriösen Beziehung und eines geheimnisvollen Handschuhs. Immer tiefer verstrickt sich Kielland in das fremde Schicksal, und die Wahrheit, nach der er sucht, erscheint unergründlich und trügerisch.
Als Peter Maydell, Redakteur für die Lübecker Zeitung, von Johannes Kielland ein Manuskript zugesendet bekommt, ist seine Neugierde groß. So oft hat er bereits große Freude an den ihn erreichenden Artikeln des jungen Mannes gehabt, sodass er auf dieses offensichtlich größere Werk des Schreiberlings sehr gespannt ist.
Lediglich ein einziges Mal ist er Kielland bisher begegnet und war damals von dem jungen Geschichtsstudenten mit den langen Haaren und dem langen schwarzen Mantel, der seine schwarze Kleidung verdeckte und bis zu den Stiefeln reichte, mehr als überrascht. Kein älterer Herr also, der aus Gewohnheit seine Berichte ausschließlich auf einer Schreibmaschine verfasst, sondern viel mehr jemand, der das Dunkle ebenso wie das Außergewöhnliche schätzt; besonders außergewöhliche Begebenheiten. Deswegen handeln auch seine Berichte von skurrilen, unwahrscheinlichen Geschehnissen.
Wie er selbst anmerkt, soll auch das Manuskript, welches im Übrigen sein letztes Werk sein soll, von einer solchen Geschichte und von ihm handeln. Zu der Geschichte sei er, so schreibt er es, durch die Begegnung mit Helma Brandt gekommen, deren Verlobter in den Fluten den Tod fand.
Alles rankt sich um die Insel Sylt, eine tragische alte Liebe, den Tod, das Meer, die Gezeiten, alles verschluckende Dunkelheit, den Friedhof der Heimatlosen, den Mitternachtsweg und einen Handschuh.
So scheint die eigentliche Geschichte nicht mit Johannes Kielland zu beginnen, sondern viel weiter in die Vergangenheit zu reichen.
Die Geschichte unterteilt sich in mehrere Zeit- und Handlungsstränge, welche sich regelmäßig abwechseln. So handelt ein Part des Buches von der Vergangenheit und den Anfängen der Geschichte, ein weiterer von den Recherchen Kiellands, ein dritter besteht aus dem Manuskript, ein weiterer beschreibt den Redakteur, wobei sich der letzte schließlich mit der Gegenwart befasst.
Zu Beginn war ich wegen diesen verschiedenen Erzählsträngen etwas verwirrt, obwohl die Kapitelüberschrift meist angibt, von welcher Art der folgende Abschnitt sein wird.
Die Orte des Geschehens empfand ich als sehr schön gewählt: Da wäre beispielsweise der Friedhof der Heimatlosen, auf dem ertrunkene und an den Strand gespülte Seemänner einst ihre letzte Ruhe fanden. Benjamin Lebert versteht es, seine Worte so zu wählen, dass die beschriebene Kälte und Finsternis spürbar wenn auch nicht zwangsläufig verständlich werden. Die gesamte Geschichte durchwabert etwas Düsteres, dass, kaum greifbar, unterschwellig auf den meisten Seiten anzutreffen ist.
Dennoch muss ich gestehen, dass mich das Buch mit einigen Fragen zurücklässt und dass es, auch wenn es gewissermaßen einen Abschluss gab, für mich noch nicht wirklich beendet ist. So wirkt dieses Werk weniger wie ein Roman, als eine mystische Schauergeschichte. Sicherlich ist dieses überwiegende Unwissen, ob etwas Erzähltes nun der Wahrheit und der Phantasie der Charaktere entspringt, gewollt, mir jedoch etwas zu viel.
Alles in allem ist Mitternachtsweg ein spannendes Buch mit packendem Schreibstil, welches allerdings viele Fragen offen lässt.
Ich vergebe daher 4 ihr nächtliches Leuchten auf das dünstere Meer werfende Sterne
Sollten Sie diesen Herbst nur ein Buch lesen, sollte es dieses sein!
Bewertung am 03.09.2014
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Eine Leiche wird an den Strand von Sylt gespült. Ihr Merkmal: ein schwarzer Handschuh, der Salzwasser, gefräßigen Meeresbewohnern, Wind und Wetter getrotzt zu haben scheint. Johannes Kielland, der hin und wieder für eine Lübecker Tageszeitung über mysteriöse Ereignisse schreibt, befasst sich mit diesem namenlosen Toten und wird viel tiefer in die Geschichte hereingezogen, als es ihm lieb ist. Was sich erst einmal wie ein 08/15-Krimi anhört, ist doch so viel mehr. Mitternachtsweg ist eine wunderbar atmosphärische, geradezu poetische Spukgeschichte der Liebe. Meisterhaft versteht es Benjamin Lebert mehrere Erzählebenen, sowie die Schauergeschichten des Watts und des todbringendes Meeres miteinander zu verbinden. Für mich schon jetzt das Glanzlicht des Herbstes und eines der besten Bücher, das ich seit langer Zeit gelesen habe.
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