Im Alter von 97 Jahren beschliesst Daniel de Roulets Mutter, mit Hilfe von Exit aus dem Leben zu scheiden. Überrascht
und aufgewühlt, beginnt der Sohn in den verbleibenden zwei Wochen, seinem verstorbenen Vater täglich zu
schreiben. Er erzählt ihm von seinen Besuchen bei der erblindeten Mutter, die ihn bittet vorzulesen, was er gerade
schreibt. Er erinnert sich aber auch, wie sein Vater vor ein paar Jahren gestorben ist, als Greis, zuletzt dement. Er
erzählt vom Aufwachsen im calvinistischen Pfarrhaus in St-Imier, von den Gästen am Tisch, den Fahrten mit dem
Vater zu entfernten Bauernhöfen. Dann wird ein Sterbedatum gefunden, der Tag kommt, die Kinder versammeln sich, und die Freitodbegleiterin von Exit bringt das bittere Getränk, das die Mutter ruhig zu sich nimmt. «Brief an meinen Vater» ist ein sehr berührendes, aktuelles und auch tröstendes Buch, das sich unerschrocken dem Tod zuwendet, indem es von einer unerschrockenen Frau vor dem Tod erzählt.
97 Jahre alt ist Daniels Mutter, als sie beschließt, ihrem Leben mit “EXIT”, einem Verein für Sterbehilfe, ein Ende zu setzen. Schwer ist es geworden, die Schmerzen lassen sich auch mit Morphium nicht mehr kontrollieren, Aussicht auf Besserung gibt es keine. Zwei Wochen sind es bis zu dem Termin. Zwei Wochen, in denen Daniel seinem schon sechs Jahre früher verstorbenem Vater einen Brief schreibt. Einen Brief, in dem er über seine Mutter spricht, aber auch über die Vergangenheit, Glaubensfragen und natürlich den Tod.
Wie soll man einen Brief besprechen? Wäre “Brief an meinen Vater” von Daniel de Roulet ein Roman, dann würde ich mich jetzt versucht fühlen einzuwenden, dass mir das ganze Szenarium nicht glaubwürdig erscheint. Dass ich nicht wüsste, warum ein Sohn, der in wenigen Tagen für immer Abschied von seiner Mutter nehmen muss, seinem Vater schreibt. Und in diesen Briefen auch keine konkret fokussierten Fragen angeht. Themen, die in der Situation kaum relevant scheinen, anschneidet. Sie, fast halbherzig, dreht und wendet und wieder fallen lässt. Was will uns der Autor denn damit denn bitte schön sagen, würde ich fragen, und dabei ein klein wenig ungehalten dreinblicken.
Aber “Brief an meinen Vater” ist kein Roman. Hier hat sich ein Sohn, der zufällig auch noch Schriftsteller ist, hingesetzt, und die Verbindung zu seinem Vater, einem Pastor, gesucht, um seine Gedanken zu ordnen, oder vielleicht auch einfach nur loszuwerden. Seine Art, große Themen wie Sterben, Tod und Religion zu behandeln. Und damit bin ich all meiner Einwände entledigt. Realität kann ich nicht kritisieren, Realität ist, was sie ist, wie sie ist.
Aber muss man mit einem so persönlichen Schreiben wirklich an die Öffentlichkeit gehen? Daniel de Roulet scheint generell nicht abgeneigt, seine privateren Seiten mit der Welt zu teilen. So soll er auch einen Brandanschlag auf eine Villa Axel Springers verübt und sich in einer publizierten Schrift dazu bekannt haben - klugerweise erst, als die Tat verjährt war. Was ich aber an “Brief an meinen Vater” sehr angenehm fand, ist, dass das Buch nichts voyeuristisches an sich hatte. Weder hat man als Leser das Gefühl, in einen Bereich einzudringen, der eigentlich zu privat ist, noch hat der Autor sich oder seine Familie so weit entblößt, dass es einem Ausschlachten der Situation auch nur annähernd nah kam. Wie de Roulet diese feine Balance zwischen tiefem Einblick und respektvollem Abstand gehalten hat, fand ich beeindruckend.
“Brief an meinen Vater” ist ein dünnes Büchlein mit großem Inhalt. Ein Büchlein, das wegen seiner Thematik nicht immer einfach zu ertragen ist. Allgemeingültige Antworten und Erkenntnisse liefert es keine, kann es keine liefern. Aber Aspekte, die für jeden von uns von Relevanz sind, und eine unmittelbare persönliche Nähe, die auch kostbar ist. Und damit erklärt sich womöglich, warum es herausgegeben wurde. Und sollte.
Wir nutzen Ihr Feedback, um unsere Produktseiten zu
verbessern. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Ihnen keine Rückmeldung geben können. Falls Sie
Kontakt mit uns aufnehmen möchten, können Sie sich aber gerne an unseren Kund*innenservice wenden.