Drei Heldentaten habe sie in ihrem Leben vollbracht, erklärt Helga Schuberts Mutter ihrer Tochter: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie im Zweiten Weltkrieg auf die Flucht mitgenommen und sie vor dem Einmarsch der Russen nicht erschossen. Helga Schubert erzählt in kurzen Episoden und klarer, berührender Sprache ein Jahrhundert deutscher Geschichte – ihre Geschichte, sie ist Fiktion und Wahrheit zugleich. Mehr als zehn Jahre steht sie unter Beobachtung der Stasi, bei ihrer ersten freien Wahl ist sie fast fünfzig Jahre alt. Doch erst nach dem Tod der Mutter kann sie sich versöhnen: mit der Mutter, einem Leben voller Widerstände und sich selbst.
Von der ersten bis zur letzten Seite habe ich diese Erzählungen genossen. Herrlicher Stil, starke Emotionen, viele historische Komponenten! Helga Schubert hat ihr Leben und das ihres familiären Umfelds auf überzeugende Weise in ihren Erzählungen verarbeitet!
Wunderbare Geschichten
Bewertung am 12.09.2021
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Helga Schubert beschreibt in 29 Erzählungen das Leben einer Frau, die sich im Alter mit dem Erlebten, mit den Menschen und mit der politischen Geschichte versöhnt hat. Sie entwirft darin die Lebensgeschichte einer Mutter, Tochter, Ehefrau, Schriftstellerin und auch einer gläubigen Christin und Bürgerin. Manchmal sind es nur Andeutungen dann wieder ganz konkrete Situationen, die herausgehoben werden. Als Leser spürt man sehr genau, was die Autorin einem mitteilen möchte, ohne dabei zu intim zu werden.
Da gibt es zum Beispiel eine etwas längere Erzählung über Wahlverwandschaften, in dem ihr schwieriges und distanziertes Verhältnis zur Mutter und die familiäre Konstellation zwischen Mutter, Tochter, Enkeltocher thematisiert wird. Erst kurz vor dem Tod der Mutter kann die Erzählerin, trotz aller Widrigkeiten, die ihr entgegengebracht wurden, eine Dankbarkeit und Versöhnung spüren, die sie dankbar macht für das geschenkte Leben.
Oder auch das kurze und sehr poetische Kapitel über das Schreiben, in dem sie reflektiert über das Hinsehen und Nachdenken über den Lebensfluss und dass ‘nichts einfach gut oder böse ist’. Diese Reflexion kommt auch sehr schön im Abschnitt der ‘Dämmerung eines Tages’ zum Ausdruck. Man kann die Dinge immer von verschiedenen Seiten her betrachten. Man muss sie aber zuerst überhaupt wahrnehmen durch Hinsehen und Staunen und sich dann überlegen, wie etwas auch noch sein könnte.
Einige Texte sind ergänzt durch treffende Zitate oder Aphorismen, die die Erzählerin ein Leben lang begleiten. Sie halfen ihr auch die Lebensjahre in der DDR, die immer absurder wurde zu relativieren: ‘Nicht was wir erleben, sondern wie wir erleben, was wir erleben, macht unser Leben aus’ von Marie von Ebener-Eschenbach. Es gibt auch Anklänge von humorvollen Gedanken, die einem ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern.
Die Erinnerungen an die DDR-Diktatur und die Sehnsüchte der Menschen nach einer Freiheit, die es wohl nie geben würde, dann aber doch noch wahr wurde: Gelungen dazu fand ich insbesondere die Textstelle zur Spargelzeit und wie sich die Menschen darüber freuten, als Spargeln, Erdbeeren und einfach ganz alltägliche Dinge plötzlich erhältlich waren.
Sowohl die politische wie auch die persönliche Freiheit sind weitere grosse Themen. Die christliche Verantwortung und insbesondere das ‘ein guter Mensch-sein-wollen’ ist nicht immer einfach umsetzbar in einem Unrechtsstaat. Ein ganz wunderbares Kapitel zum Thema Gläubigkeit findet man in ‘Meine Ostergeschichte’.
Ich bin tief beeindruckt von der Weisheit und Güte dieser Frau und freue mich sehr, dieses Buch gelesen zu haben. Es ist ein sehr tröstendes, leises und unaufdringliches Buch, in welchem die Tiefe und psychologische Ebene erst nach und nach in Erscheinung tritt und einem umso mehr berührt. Ich freue mich sehr, dass diese Autorin in hohem Alter des letztjährigen Ingeborg-Bachmannpreis gewonnen hat, nachdem sie viele Jahre zuvor, bereits einmal eingeladen wurde, aber nicht ausreisen durfte.
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Literatur wird in vielen Fällen stark vom eigenen Erleben geprägt sein, was natürlich die Empathie der schreibenden Person für die Figuren um so größer macht. Und ein Roman wie "Buddenbrooks" basiert zu einem großen Teil auf Figuren aus Thomas Manns Umfeld. Trotzdem bin ich meistens nicht so angesprochen von literarischen Memoiren. Weder Gertrude Stein noch Saša Stanišić hat mich damit umgehauen, und auch bei Helga Schubert merke ich, wie ich Formulierungen attraktiv und Beobachtungen geistreich finde, aber emotional nicht sonderlich hineingezogen bin. Vielleicht liegt es oft daran, dass die Autor*innen in der Selbstreflektion Pathos vermeiden wollen, um nicht wie Jammerlappen zu wirken, während sie ihren Figuren etwas mehr Leiden zugestehen würden.
Es mag vielleicht nicht helfen, dass es im Hörbuch teils etwas schwer auszumachen ist, wann ein neues Segment beginnt. Aber zu einem großen Teil wird es daran liegen, dass das Genre und ich einander nicht sehr nah stehen. Mögen sich also nur diejenigen, die ähnliche Vorbehalten haben, von diesem Buch abhalten lassen. Allen Anderen steht das Tor zu Ästhetik offen.
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Eine gute Idee, in zum Teil ganz kurzen Begebenheiten, in einzelnen Geschichten, in der Summe ein Leben rückblickend zu erzählen. So tat es Helga Schubert und spricht damit vom Alltag in der DDR, von der Nachkriegszeit, vom Leben als Schriftstellerin. Der Stil ist jedoch eher knapp, fast lakonisch gehalten.
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