Mit Amazonia, dem siebten Buch des Abracadabra-Projektes, lädt uns Patrick Deville zu einem prächtig kolorierten literarischen Karneval ein, auf eine Fahrt den Amazonas hinauf von Belém am Atlantik bis Santa Elena am Pazifik, eine Reise quer durch den lateinamerikanischen Subkontinent mitsamt einer Überquerung der Andenkette. Mit Deville entdecken wir Santarém, den Río Negro, Manaus, Iquitos, Guayaquil und zu guter Letzt die Galápagosinseln, ein wahrhaftiger Hafen des Friedens in einer wieder einmal verrückt gewordenen Welt, die gerade kräftig die Flammen ihrer eigenen Auslöschung anfacht.
Der Roman taucht tief in die Vergangenheit ein bis zu den ersten europäischen Konquistadoren, die auf der Suche nach Gold und Reichtümern in eine noch unbekannte Welt voller Legenden und Überraschungen vorstießen: Eldorado. Spätere Forschungsreisende kartografierten diese unbekannten Lande, dieses Labyrinth der Flüsse und Nebenflüsse. Abenteurer und Industrielle beuteten das Land aus, Kautschuk, Kaffee etc. machten erst ein Vermögen und dann Pleite, die Welt, eine einzige Raserei. In dieser schillernden Landschaft, dieser überbordenden Natur, masslos in jeder Hinsicht, entschied sich manch ein Schicksal. Die Bühne betreten uns wohlbekannte Abenteurer, Hasardeure und vom Wahnsinn Getriebene: Lope de Aguirre, der Zorn Gottes; Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo, Simon Bolívar, Alexander Humboldt, Charles Darwin.
Deville reist diesmal mit seinem Sohn Pierre, erzählt wird so en plus eine Vater-Sohn- Geschichte, wie sie Deville immer schon interessiert hat: Malcolm Lowry und sein Vater, Jonas Savimbi und dessen Vater, Kipling und sein Sohn. Die Reise durch die Geschichte und Geografie Amazoniens ist dem französischen Romancier Gelegenheit genug, auch die Frevel an der Umwelt zu beschreiben, wie sie sich dem heutigen Reisenden zeigen, und folgerichtig auf die katastrophalen Folgen für das Klima und unsere Zukunft hinzuweisen.
Almut Scheller-Mahmoud aus 21109 Hamburg am 24.09.2023
Bewertungsnummer: 2029186
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Die Lektüre eines Deville’schen Buches ist immer wieder wie ein Tauchgang in die Tiefen von Geschichte und Kultur, von Geschichten und Anekdoten.
In seinem neuesten Buch öffnet er abermals seine Homme de lettres-Schatulle und reist mit uns durch Amazonien, ein Gebiet fast so groß wie Australien mit dem längsten Fluss der Erde mit über 1000 großen Nebenflüssen. Es ist die grüne Lunge unserer Erde, die bedroht ist von Hab- und Machtgierigen, denen weder Fauna und Flora noch die indigenen Menschen und Ihre Lebensweise etwas bedeuten.
Deville spannt Bögen durch Zeit und Raum wie ein Zen-Bogenschütze und verbindet die Schicksale von Abenteurern, Entdeckern, Eroberern, Königen, Politikern, Schriftstellern, Forschern und Dichtern: Menschen, die ihr Umfeld, ihre Umwelt, die Welt prägten und beeinflussten. Wir reisen mit ihm durch die Jahrhunderte – von den Inkas zu Pizarro und Cortes zu Aguirre und Fitzcarraldo, von Darwin zu Pasteur zu Alexander von Humboldt, von Bolivar zu den Sandinisten, von den Sklaven zu den Latifundisten. Von den indigenen Einwohnern zu der weißen Herrscherklasse. Gold, Kautschuk, Holz und Kaffee weisen uns den Weg der Ausbeuter durch das grüne Labyrinth der Wasserwege, des Regen-waldes. Seine literarischen Weggefährten: von Thoreau zu Rimbaud zu Cendrars zu Lévi-Strauss. All diese „Who is who“-Nebenflüsse verbinden sich zu einem großen Strom.
Kern dieses neuen Buches seines Abrakadabra-Projektes ist die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen. Er reist diesmal nicht allein durch Länder und Zeiten, sondern in Begleitung von Pierre, seinem Sohn. Pierre ist Fotograf, Musiker und ebenso wie der Vater ein besessener Notizbuchschreiber. Mal sind sie sich nah, mal gibt es Fremdheit und Distanz zwischen ihnen. Ein natürliches Phänomen der Vater- und Sohnesschaft, besonders auf beengtem Raum.
Vater- und Sohnesliebe sind archetypische Verknüpfungen: schon Montaigne stellte fest, „dass dem kleinen Samentropfen, aus dem wir hervorgehen, nicht alleine Gestalt, sondern auch die Denkweise und Neigungen unserer Väter eingeprägt sind“.
Allerdings – wo bleiben die Denkweisen und Neigungen der Mutter? Da war Montaigne wohl nicht ganz auf der feministischen Höhe….
Deville ist ein Kosmopolit, ein Welt-Erfahrener, ein Welt-Erfahrender, er ist kein Voyeur, sondern ein Lotse, der Verbindungen über Kontinente und Zeiten opulent zu schildern weiß.
Er ist eben kein „In 80 Tagen um die Welt“-Reisender wie die heutigen Instagrammer, die bei ihren Stippvisiten glauben, „Land und Leute“ kennengelernt zu haben.
Für mich ist jedes Buch von Patrick Deville wie ein Torso, den ich selbst lebendig werden lassen muss. Indem ich wie er tauche, eintauche in den globalen Kreislauf von Wissen und Bildung.
Für dieses enzyklopädische Wimmelbuch ein großes Dankeschön.
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