Sprachgewaltig, in packenden Bildern und Episoden erzählt Valerie Fritsch von der Ungeheuerlichkeit einer Liebe und über die Abgründe der menschlichen Seele.
August Drach wächst in einem Haus am Dorfrand auf, das Hölle und Paradies zugleich ist. Der Vater misshandelt seinen Sohn, Zärtlichkeit hat er nur für die Hunde übrig. Trost findet August bei seiner liebevollen Mutter. Doch als der Vater die Familie verlässt, verwandelt sich ihre Zuwendung: Sie mischt August heimlich Medikamente ins Essen, die ihn schwach und krank machen; von seiner Pflege erhofft sie sich Aufmerksamkeit und Bewunderung. Es sind quälende Jahre, bevor es August gelingt, sich von der Mutter zu befreien und ein selbständiges Leben zu führen. Die erste Liebe zu erfahren. Kann er das Trauma seiner Kindheit überwinden, in der Grausamkeit und Liebe untrennbar zusammengehörten?
Es ist eine düstere Welt, in die der Leser versetzt wird. Ein kleines Dorf, abweisend, jeder der Bewohner lebt für sich, es gibt keine Gemeinschaft, und „der eine schlägt seinen Hund, der anderen seine Frau“. In diesem Dorf lebt die Familie Drach, abgelegen, in einem windschiefen und ungepflegten Haus – und in diesem Haus geht es noch düsterer zu als außerhalb. August Drach, der Protagonist, erlebt dort eine Kindheit, die an Düsterkeit und Einsamkeit schwer zu überbieten ist.
Der Vater ist ein unzufriedener Choleriker, der seine Familie tyrannisiert und seinen kleinen Sohn mit unberechenbarer Gewalt und täglichen Demütigungen klein hält, während seine Frau Lilly sich in Traumwelten flüchtet. Sie erwacht aber förmlich zum Leben, wenn sie das geprügelte und hilfsbedürftige Kind umsorgen kann. Als der Vater verschwindet, sorgt sie selber dafür, den Sohn krank zu halten und umsorgen zu können. Nach außen ist sie die fürsorgliche und aufopfernde Mutter, in Wirklichkeit aber führt sie den kränklichen Zustand des Kindes selber gezielt mit Gift und Medikamenten herbei. Sie leidet am sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, das der Autorin offensichtlich vertraut ist und das sie mit Präzision und subtiler Beobachtung schildert.
Diese Gleichzeitigkeit von Grausamkeit und Fürsorge, von Gewalt und Zärtlichkeit erzählt die Autorin in einer nüchternen und distanzierten Sprache, die die erzählten Handlungen noch beklemmender macht. Sie verzichtet auf jede Dramatik, jede Larmoyanz, sie ergreift niemals Partei, sondern sie erzählt in einem fast chronikhaft anmutenden Stil, der durch beeindruckende Metaphern aufgebrochen wird. Dabei lässt sie die Erzählung langsam vorangehen und widmet sich jeder ihrer Figuren mit analytischer Genauigkeit, sodass bedrückende Bilder von Menschen entstehen, die in den „Verkarstungen“ ihrer Seele gefangen sind.
Einziger Lichtblick im buchstäblichen Sinn sind die Zitronen: ein leuchtender Fleck in der dunklen Geschichte. Die Autorin flicht das Symbol der Zitrone immer wieder ein, nie aufdringlich, aber immer aussagestark. Eine besondere Bedeutung kommt dem Symbol zu, als sie von einem Urlaub erzählt in dem Land, wo die Zitronen blühn. Lilly stehen ihre Gifte nicht zur Verfügung, und August blüht auf, er lebt. Das Bild der Zitronen, die „wie Sterne am dunklen Himmel standen“, begleitet ihn sein Leben. Allerdings auch die Säure bzw. die Bitterkeit dieses ambivalenten Symbols.
Fazit: Ein dunkler Roman über einen Menschen, dem es nicht gelingt, sich aus seinen anerzogenen Mustern zu lösen.
In verschiedenen Episoden erzählt Valerie Fritsch eindringlich von versehrten Menschen, die verschiedene Formen der Gewalt erleben und ausüben und zeichnet mit ihren glaubhaften Charakteren ein leuchtendes Porträt ihrer Psychen.
August Drach wächst in einem kleinen Dorf auf. Sein Vater ist gewalttätig, nur die Hunde, die liebt er. Eines Tages verschwindet er. Augusts Mutter beginnt daraufhin, ihrem eigentlich gesunden, nichtsahnenden Sohn allerlei Pillen und Stoffe in den Tee zu mischen, um ihn anschließend wieder voller Liebe und Inbrunst gesund zu pflegen.
Später zieht August in die Stadt, versucht ein normales Leben zu leben. Auf der Suche nach sich selbst verliebt er sich in Ava, deren Beziehung in der Gegenwart durch die undurchdringliche Vergangenheit eingeholt wird.
Mit einem sprachlichen Feuerwerk zeichnet die Autorin wahrliche Szenen auf das innere Auge, jeder Satz sitzt, die Beschreibungen poetisch anmutend. Ein paar Highlights findet ihr in den Slides.
Mit nur 186 Seiten ein ganz großer und intensiver Roman, den ich unbedingt empfehlen möchte!
Hoch literarisch, ein schweres Thema für das ein Zugang, für die Allgemeinheit geschaffen wurde.
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
August Drach führt mit Mutter, Vater und den Familienhunden ein typisches Dorfleben. Jeder kennt jeden, jeder redet über jeden und jeder möchte im Mittelpunkt stehen. Der Vater liebt weder den Sohn, noch die Mutter, noch sein Leben- nur die Hunde. Doch die reichen nicht und eines Tages ist er fort. Die Mutter versucht mit August zu überleben und schneller, als erhofft haben sich alle Dorfbewohner an die neue Familiensituation der Drachs gewöhnt. Doch wie wird man am besten Gespächsthema einer kleinen Gemeinde? Richtig, indem man einen kranken Sohn vorweisen kann, für den man sich grenzenlos aufopfern kann. Doch dafür benötigt man ein krankes Kind und August ist kerngesund... Also, wie bekommt man ein krankes Kind? Richtig, indem man es systematisch vergiftet.
August ist zu jung, um zu verstehen, was ihm die eigene Mutter da eigentlich antut. Erst Jahre später, wenn seine Kindheit sein Leben und auch seine Liebe gefährdet, dann wird im klar werden, warum sich "damals" immer so falsch angefühlt hat. Wenn ihm das bewusst wird, dann ist es eigentlich schon zu spät...
Die Sprache war so poetisch, ich habe jeden Satz aus tiefstem Herzen genossen. Man merkt, dass die Autorin wirklich wusste, was sie tat und hier sehr viel Herzblut drin steckt- sie unterhielt sich mit Betroffenen. Dieses Buch hat mich emotional alles durchleben lassen: die Wechsel zwischen Hoffnung, Trauer, Hoffnung, Bedauern, Hoffnung, Mitleid, Hoffnung,... waren wie eine Achterbahn der Gefühle und jede Berg- und Talfahrt hat mich eiskalt erwischt. Eine große Empfehlung meinerseits und allen einen schönen Tag :)
Es ist ein Problem aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite neu und versuchen es noch einmal.
Was wird aus einem Menschen, dem ein Stück Kindheit geraubt, dem Gewalt angetan wurde und wo dem Vater die Haustiere mehr galten als das eigene Kind? Der einer manipulierenden, krank machenden Überfürsorge der Mutter ausgesetzt war? Er liebt selbst besitzergreifend, nimmt der geliebten Person die Luft zum Atmen bis sie sich befreit. Er kehrt zurück an den Ort des Schmerzes, sieht erneut das Erlebte und nur einen Weg, nicht nur sich selbst daraus zu befreien. Fritsch erkundet die Abgründe des Menschen in einer unvergleichlichen Sprachgewandtheit. Da spricht so viel aus jedem Satz.
Kurze Frage zu unserer Seite
Vielen Dank für Ihr Feedback
Wir nutzen Ihr Feedback, um unsere Produktseiten zu
verbessern. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Ihnen keine Rückmeldung geben können. Falls Sie
Kontakt mit uns aufnehmen möchten, können Sie sich aber gerne an unseren Kund*innenservice wenden.