Endlich in Sicherheit?
Monika Fuchs, Thalia-Buchhandlung Hamburg
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich nun endlich den dritten Teil der Seidenstadt-Saga von Ulrike Renk lesen konnte. Allerdings habe ich auch den Nachteil solcher Buchserien festgestellt. Den zweiten Teil „Zeit aus Glas“ habe ich im Juni 2019 gelesen. Und im April 2019 hatte ich den Roman von Lilli Beck „Mehr als tausend Worte“ gelesen. Beides sind Romane, in denen zwei junge jüdische Frauen Deutschland verlassen mussten und in England versuchten, ihre Familie nachzuholen. Ich hatte erst etwas Schwierigkeiten, bis ich wieder in der richtigen Geschichte war.
Die Inhaltsangabe ist dieses Mal stimmig, auch wenn sie für meinen Geschmack etwas zu viel über den Inhalt verrät. Ruth ist in England bei einer Farmersfamilie untergekommen. Sie ist im Haushalt angestellt, muss sich um das Haus, die kleine Tochter der Familie, das Kochen und das Kleinvieh kümmern. Freizeit hat sie so gut wie keine. Der Familienvater ist sehr nett und versucht ihr vielfach zu helfen, aber die Mutter macht ihr das Leben schwer. Von ihr wird Ruth fast wie eine Leibeigene behandelt. Zum Glück gibt es für Ruth aber das Ehepaar Nebel, das schon länger in England lebt. Beide sind ursprünglich ebenfalls jüdische Deutsche. Jakub war im diplomatischen Dienst tätig und Edith kümmert sich voller Einsatz für Juden, die aus Deutschland flüchten wollen. Speziell Edith ist eine große Stütze für Ruth. Sie hilft ihr dabei, die Papiere für ihre Eltern und ihre Schwester Ilse zu beschaffen.
Das Buch beginnt im August 1939 und endet Juli 1940.
Die Autorin beschreibt sehr intensiv das eine Jahr, das Ruth in England bei der Farmersfamilie verbringt. Sie erzählt, was Ruth alles leisten muss. Und es ist erstaunlich, wie Ruth dies schafft. Sie muss einen kompletten Haushalt schmeißen, dabei ist sie von Zuhause ursprünglich Dienstboten gewöhnt. Allerdings hatte sie seit der Reichsprogromnacht bereits einiges auf die harte Tour lernen müssen, denn ihre Mutter war zu dem Zeitpunkt psychisch nicht dazu in der Lage. Ich habe es bewundert, wie sie dies als 18jähriges Mädchen geschafft hat. Jill, die Tochter der Farmersfamilie liebt sie. Und auch die drei Mädchen, die aus London auf der Farm einquartiert werden, entdecken in ihr eine warmherzige Zuhörerin, die ihnen gerne Rat gibt. Erschreckend fand ich, wie auch die Engländer immer wieder darauf reagieren, dass Ruth Jüdin ist. Dort gibt es ebenfalls viele Vorurteile gegen sie. Aber Freddy, der Familienvater zeigt ihr sehr verständlich auf, dass es eben vielfach Unwissenheit und Neugier, bzw. Angst vor dem Fremden sind. Als 1940 England aktiv in den Krieg eingreift, kommt bei Ruth die Angst massiv zurück? Ist sie in England wirklich in Sicherheit? Oder sollte sie versuchen, doch weiter in die USA zu kommen? Was ist mit den Affidavits, die ihre Eltern bereits in Deutschland bekommen hatten, die allerdings erst 1943 gültig werden würden.
Gerade dadurch, dass Ulrike Renk so ausführlich von dem Schicksal der Familie Meyer erzählt, wird sie für mich so richtig greifbar. Immer diesen hoffen und bangen, was wird. Dieses immer auf dem Sprung sein, auf gepackten Koffern zu sitzen. Dieses Wissen, dass man eigentlich nicht erwünscht ist. Zu Wissen, dass die Heimat verloren ist. Wird es jemals eine neue Heimat geben? Das bringt die Autorin sehr gut rüber. Aber auch, wie sich das Leben der Engländer verändert. Plötzlich gibt es Rationierungen, und es werden die Kinder und Jugendlichen aus den Städten aufs Land evakuiert. Natürlich kann man es sich nicht aussuchen, ob man diese Kinder aufnehmen möchte. Sehr bedrückend, einmal eine andere Perspektive einzunehmen. Vielleicht war es damals gar nicht so verkehrt, dass die Flüchtlinge direkt mit ihren Gastgebern in Kontakt kamen. Vielleicht hat es wenigstens teilweise für Verständnis untereinander geführt!
Der abschließende vierte Band „Träume aus Samt“ wird im August 2020 erscheinen. Ich freue mich schon drauf.