Ein großer Zeitsprung
Monika Fuchs, Thalia-Buchhandlung Hamburg
Seit dem zweiten Band „Sehnsucht nach der Villa am Elbstrand“ ist jetzt nur zwei Monate später der dritte und abschließende Band der Reihe um die Reedersfamilie Nieland und die Familie Timmlein erschienen. Und damit müssen wir die beiden Familien leider verlassen.
Mich hat zu Beginn des dritten Teils sehr erstaunt, dass wir uns jetzt plötzlich schon im Jahr 1960 befinden. Der zweite Band endete 1945, der Sprung ist also gewaltig. Die Kinder von Anna Nieland und Sofie Timmlein sind inzwischen erwachsen und haben schon eigene Kinder, die so um die 18 Jahre alt sind und flügge werden. Zum Glück gibt es am Anfang ein Personenregister, denn sonst hätte ich die Verbindungen nicht so leicht herstellen können. Die Hauptpersonen in diesem abschließenden Band sind:
- Rosa Timmlein, die uneheliche Tochter von Elfie Timmlein
- Isabel Torres, die Tochter von Hilde Timmlein und José Torres
- Timon Schwarz, der Sohn von Leni Meseritz
Leider ist die Matriarchin Gudrun Nieland inzwischen verstorben, aber Anne, Sofie, Willi und Max erfreuen sich nach wie vor guter Gesundheit. Doch diese liebgewonnenen Hauptpersonen der Bände eins und zwei treten im dritten Band eher in den Hintergrund. Es geht um die Geschichten von Rosa, Isabel und Timon. Elfies Tochter Rosa macht ihre Ausbildung zur Kellnerin auf Finkenwerder bei dem Partner Elfies, Jan Lüttgens. Dort lernt sie dessen Neffen Felix Lüttgens, einen Musiker, kennen und verliebt sich in ihn. Als Felix ein Angebot in Rostock an einem Theater erhält, folgt Rosa ihm dorthin.
Isabel, die Enkelin von Annas Schwester Edith, folgt beruflich ihrer Großmutter. Sie möchte Journalistin werden und hat das Glück, dass sie beim Hamburger Spiegel anfangen kann.
Timon möchte gerne in der Reederei Nieland eine Ausbildung machen. Sehr zum Entsetzen seiner jüdischen Eltern, die während des Nationalsozialismus nach England fliehen mussten, leistet er seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr ab.
Nachdem ich mich erst einmal in die Geschichte einlesen musste, hat sie mich dann wieder richtig gepackt. Erst einmal vermisste ich die „alte Garde“. Doch dann haben Eva-Maria Bast und Jörn Precht richtig Gas gegeben und ganz viel Zeitgeschehen in diesen Roman hineingepackt.
Wir finden uns zeitweise auf dem Kiez in St. Pauli wieder, wo gerade die ursprünglichen Beatles, noch ohne Ringo Starr, dafür mit Stu Sutcliff und Pete West, ihre ersten Auftritte haben. Sie freunden sich mit den jungen Leuten der Villa am Elbstrand an.
Wir gehen mit Rosa und Felix nach Rostock, bzw. Warnemünde. Felix ist glücklich in dem Theater, in dem er engagiert wurde. Und Rosa macht eine Ausbildung im Hotel. Doch dann beginnen die Beziehungen zwischen Ost- und West-Deutschland massiv zu bröckeln, und die Mauer wird gebaut. Rosa und Felix sind in der DDR gefangen.
Isabel arbeitet als Rechercheurin beim Spiegel und bekommt dadurch sehr viel mit. So geraten wir durch sie mitten hinein in die Spiegel Affäre um den angeblichen Landesverrat von Rudolf Augstein und Conrad Ahlers.
Und dann kommt der 17. Februar 1962. Timon ist mit seiner Freundin zu Besuch bei einem Kumpel auf Waltershof. Jan Lüttgens ist in seinem Lokal auf Finkenwerder und das Gros der beiden Familien weilt in der Villa am Elbstrand. Doch die Flut steigt immer weiter und es geschehen dramatische Situationen für alle Beteiligten. Leni, die Mutter von Timon, arbeitet inzwischen als Sekretärin für den Hamburger Innensenator Helmut Schmidt. Dadurch sind wir in verschiedenen Positionen direkt mittenmang des Geschehens.
Ich habe bisher noch nie so eine packende Schilderung der Hamburger Flut gelesen. Und das, wo gerade der Orkan „Sabine“ über Deutschland sein Unwesen trieb. Eigentlich liebe ich stürmisches Wetter. Ich wäre dann immer liebsten auf einer nordfriesischen Insel direkt am Meeressaum. Aber nach diesem Kapitel über die Sturmflut in Hamburg überdenke ich das besser noch einmal. Den Autoren die es großartig gelungen, die Naturkatastrophe zu beschreiben. Diese Not der Menschen, die häufig noch in Notunterkünften lebten. Auf Elbinseln, deren Deiche nicht hoch- stabil genug waren. Diese eisige Kälte. Die fehlenden Möglichkeiten sich in Sicherheit zu bringen. Und das Versäumnis, rechtzeitig vor der Flut in Hamburg zu warnen. Allerdings auch, was Helmut Schmidt für Anstrengungen unternommen hat, damit die Menschen aus ihren Notlagen gerettet werden konnten. Eigentlich wollte ich schon lange schlafen, aber ich konnte das Buch zu dem Zeitpunkt einfach nicht aus der Hand legen. Ich war gedanklich selbst mittendrin und fühlte mich vom immer höher steigenden Wasser bedroht! Und ich fror!
Der dritte Band verknüpft ebenso wie der zweite Band wieder sehr geschickt wahre Geschehnisse mit der fiktiven Handlung. Die Zeit von 1960 bis 1964 war in Deutschland ausgesprochen interessant. Es war auch noch die Zeit, in der sowohl die USA als auch die UdSSR massiv atomar aufrüsteten. Es kam zu den ersten Osterdemonstrationen in Deutschland. Es gab die Kuba-Krise und eine begründete Angst vor dem 3. Weltkrieg. Auch diese Themen werden am Rande gestreift. Ganz so klar war mir gar nicht bewusst, in welche Periode ich 1963 hineingeboren wurde. Schade, dass wir die Bewohner der Villa am Elbstrand jetzt verlassen müssen. Ich denke, es gäbe noch einiges an Stoff in der jungen Bundesrepublik, den die Autoren in ihren Romanen verarbeiten könnten.
Eine tolle Geschichtsstunde in Romanform. Die Romane um die Villa am Elbstrand können Männer und Frauen gut lesen, denn sie sie spannend erzählt, bieten viel geschichtlichen Hintergrund und die Liebe nimmt nicht zu viel Platz ein.