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Sophie Weigand Buchhandlung: Thalia Lübeck – Citti Park
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Meine letzte Rezension Hidden Valley Road von Robert Kolker
Wow. Was für ein Buch. Die Galvins sind eine besondere Familie. Nicht nur, weil sie mit zwölf Kindern außergewöhnlich groß ist, sondern auch deshalb, weil außergewöhnliche viele Söhne im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie erkranken. Sechs der zwölf Kinder werden psychotisch, manche von ihnen massiv gewalttätig. Die Vermutung liegt nahe, dass es für diese Häufung genetische Gründe geben muss. Aber leider steckt die Forschung zur Schizophrenie noch in den Kinderschuhen, als die Galvin-Söhne zwischen 1960 und 1975 nach und nach erkranken. Rolbert Kolker erzählt in diesem brillant geschriebenen Buch nicht allein von den Galvins, auch wenn sie freilich das Zentrum bilden. Er erweitert die Perspektive auf die psychologische Forschung rund um die Schizophrenie, zu der Familie Galvin einen relevanten Teil beigetragen hat. Er zeichnet die zentralen Debatten der Fachwelt zur jeweiligen Zeit nach: etwa die „schizophrenogene Mutter“ als Persönlichkeitstypus und Risikofaktor, ein mittlerweile längst überholtes Modell, das viele Jahre lang vor allem Müttern die Schuld gab, wenn ihre Kinder erkrankten. Der Streit um Nature und Nurture wurde in der Forschung rund um Schizophrenie besonders erbittert geführt. Während die einen ausschließlich das Umfeld verantwortlich machten, suchten die anderen nach genetischen Anomalien oder anderen Biomarkern, die erklären könnten, was Schizophrenie genau ist und wie sie entsteht. Bis heute hat sich wenig getan, wenn es um die (vor allem medikamentösen) Behandlungsmethoden der Betroffenen geht. Noch immer werden Neuroleptika verabreicht, manchmal in Verbindung mit anderen Psychpharmaka oder Anti-Epilektika. Häufig dämpfen die zwar die Symptome wie Wahngedanken oder Halluzinationen, aber eben auch alles andere gleich mit; von den körperlichen Folgen abgesehen, die die langjährige Einnahme von Neuroleptika haben kann. Für einige der Galvins haben die Medikamente, die sie einnehmen mussten, starke körperliche Begleiterscheinungen. Zwei von ihnen sterben am sogenannten malignen neuroleptischen Syndrom. Die beiden Töchter der Galvins, die Letztgeborenen der Zwölfertruppe, bleiben zwar von der Erkrankung selbst verschont, erleben aber in ihrer Kindheit und Jugend den permanenten Ausnahmezustand. Andauernd gibt es Prügeleien, Auseinandersetzungen, Gewalt, vollkommen erratisches Verhalten infolge der psychotischen Episoden der erkrankten Söhne; die Sorge der Eltern, jedes ihrer etwas zu präsenten Gefühle könnten Anzeichen eines weiteren erkrankten Kindes sein, ist übermächtig. Es kommt zu sexualisierter Gewalt, die die Mädchen lange für sich behalten. Als Leser:in kann man das Ausmaß an Leid, das sämtlichen Familienmitgliedern auf verschiedenste Weise widerfährt, nur erahnen. Robert Kolker versucht, es auf der Basis von jahrelanger Recherche und natürlich im Einverständnis mit der Familie aufzuarbeiten. „Hidden Valley Road“ ist nicht nur eine Fallgeschichte, sondern ein Appell für bessere psychiatrische Versorgung und mehr Forschung. Denn auch, wenn mittlerweile Risikogene identifiziert worden sind, ist das nur ein kleines Puzzleteil auf der Suche nach besserer Behandlung und effektiverer Prävention.
ab 14,00 €
Produktbild Hidden Valley Road
5/5
  • Sophie Weigand
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5/5

Hidden Valley Road

Wow. Was für ein Buch. Die Galvins sind eine besondere Familie. Nicht nur, weil sie mit zwölf Kindern außergewöhnlich groß ist, sondern auch deshalb, weil außergewöhnliche viele Söhne im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie erkranken. Sechs der zwölf Kinder werden psychotisch, manche von ihnen massiv gewalttätig. Die Vermutung liegt nahe, dass es für diese Häufung genetische Gründe geben muss. Aber leider steckt die Forschung zur Schizophrenie noch in den Kinderschuhen, als die Galvin-Söhne zwischen 1960 und 1975 nach und nach erkranken. Rolbert Kolker erzählt in diesem brillant geschriebenen Buch nicht allein von den Galvins, auch wenn sie freilich das Zentrum bilden. Er erweitert die Perspektive auf die psychologische Forschung rund um die Schizophrenie, zu der Familie Galvin einen relevanten Teil beigetragen hat. Er zeichnet die zentralen Debatten der Fachwelt zur jeweiligen Zeit nach: etwa die „schizophrenogene Mutter“ als Persönlichkeitstypus und Risikofaktor, ein mittlerweile längst überholtes Modell, das viele Jahre lang vor allem Müttern die Schuld gab, wenn ihre Kinder erkrankten. Der Streit um Nature und Nurture wurde in der Forschung rund um Schizophrenie besonders erbittert geführt. Während die einen ausschließlich das Umfeld verantwortlich machten, suchten die anderen nach genetischen Anomalien oder anderen Biomarkern, die erklären könnten, was Schizophrenie genau ist und wie sie entsteht. Bis heute hat sich wenig getan, wenn es um die (vor allem medikamentösen) Behandlungsmethoden der Betroffenen geht. Noch immer werden Neuroleptika verabreicht, manchmal in Verbindung mit anderen Psychpharmaka oder Anti-Epilektika. Häufig dämpfen die zwar die Symptome wie Wahngedanken oder Halluzinationen, aber eben auch alles andere gleich mit; von den körperlichen Folgen abgesehen, die die langjährige Einnahme von Neuroleptika haben kann. Für einige der Galvins haben die Medikamente, die sie einnehmen mussten, starke körperliche Begleiterscheinungen. Zwei von ihnen sterben am sogenannten malignen neuroleptischen Syndrom. Die beiden Töchter der Galvins, die Letztgeborenen der Zwölfertruppe, bleiben zwar von der Erkrankung selbst verschont, erleben aber in ihrer Kindheit und Jugend den permanenten Ausnahmezustand. Andauernd gibt es Prügeleien, Auseinandersetzungen, Gewalt, vollkommen erratisches Verhalten infolge der psychotischen Episoden der erkrankten Söhne; die Sorge der Eltern, jedes ihrer etwas zu präsenten Gefühle könnten Anzeichen eines weiteren erkrankten Kindes sein, ist übermächtig. Es kommt zu sexualisierter Gewalt, die die Mädchen lange für sich behalten. Als Leser:in kann man das Ausmaß an Leid, das sämtlichen Familienmitgliedern auf verschiedenste Weise widerfährt, nur erahnen. Robert Kolker versucht, es auf der Basis von jahrelanger Recherche und natürlich im Einverständnis mit der Familie aufzuarbeiten. „Hidden Valley Road“ ist nicht nur eine Fallgeschichte, sondern ein Appell für bessere psychiatrische Versorgung und mehr Forschung. Denn auch, wenn mittlerweile Risikogene identifiziert worden sind, ist das nur ein kleines Puzzleteil auf der Suche nach besserer Behandlung und effektiverer Prävention.

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