Das meinen unsere Kund*innen
Ein durchaus auch philosophischer Rundgang durch Berlin
Thomas Fritzenwallner aus Wiener Neustadt am 20.07.2011
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Albrecht Selge schickt den Protagonisten seines soeben erschienenen ersten Romans auf endlose Fußmärsche durch Berlin. Dabei ist sein Romanheld keinesfalls auf touristische Sehenswürdigkeiten aus. August Kreuzter ist vielmehr ein absichtsloser Flaneur, der scheinbar ziellos, aber durchaus mit dem Blick fürs Detail durch die Straßen Berlins streift und sich dabei dem Zufall von Zeit und Ort überlässt.
Seine Tage verbringt der sechsunddreißigjährige Junior Manager einer Shopping-Mall damit, im künstlich erleuchteten Lustschlösschen-Center, Einkaufserlebnisse für Kunden zu erfinden. Tauchen Sie ein in die Marzipan Welt, schwärmt er in seinem Kunden-Newsletter, den er Monat für Monat schreiben muss und in dem er von zuckersüßen Multibeeren aus der Region bis zum extra geräumigen Planschbecken alles anpreist, was sich nur irgendwie verkaufen lässt.
Wir erzählen eine große Story, ein Epos von Ohnmacht und Macht, Von Pleitegeiern und himmlischen Heerscharen, von Untergang und Auferstehung, erklärt es Augusts Chef Xerxes, der in diesem anspielungsreichen Roman nicht zufällig den Namen des bauwütigen Pharaonen trägt. Adressaten dieser Legende aus Glas und Plastikpalmen sind Rentnerinnen, die mit Eisbechern auf der Galerie im Panorama-Café sitzen, Schulschwänzerinnen, die Rolltreppen hinauf- und hinabfahren, und Kinderwagen schiebende Hausfrauen. Die Mall am Mittag eines Werktags ist eine Welt in Schieflage, sinniert August, wie die männerlose Welt nach einem großen Krieg. Der grellen Tagwelt des Lustschlösschen-Centers aus Sportstudio, Erlebnisbad und Multiplex stehen Augusts einsame Nächte gegenüber.
Der junge Mann, der sich erst mit Ritalin aufputscht, um dann zur Beruhigung Baldriantropfen zu nehmen, kann nicht mehr schlafen. Seine Freundin Susanne ist auf unbestimmte Zeit nach London entschwunden, und wenn er nicht gerade zu Hause Musik von Richard Strauss oder Bach auflegt, zieht es ihn hinaus in die Stadt, in der er sich berauscht an fremden Erlebnissen, Bildern und Geschichten. August schleicht durch Treppenhäuser und schaut in Briefkastenschlitze, er streunt über Friedhöfe, Spielplätze und untersucht Klingelschilder, ihn fesseln Orte, an denen sich die Zeiten ineinanderschieben: die Designerboutique, die einmal ein Kramladen war, das leerstehende Geschäft, das noch den Namenszug Bäckerei erkennen lässt, der Supermarkt, der einmal ein Kino gewesen sein muss. Jeder dieser Orte birgt eine Welt für sich.