Tarjei Vesaas (1897–1970) war der älteste Sohn einer Bauernfamilie in Vinje/Telemark, die seit 300 Jahren im selben Haus lebte. Vesaas wusste früh, dass er Schriftsteller werden wollte, verweigerte die traditionsgemäße Übernahme des Hofes und bereiste in den 1920er und 1930er Jahren Europa. 1934 heiratete er die Lyrikerin Halldis Moren und ließ sich bis zu seinem Tod 1970 in der Heimatgemeinde Vinje auf dem nahe gelegenen Hof Midtbø nieder. Vesaas verfasste Gedichte, Dramen, Kurzprosa und Romane, die ihm internationalen Ruhm einbrachten. Er schrieb seine Romane auf Nynorsk, der norwegischen Sprache, die – anders als Bokmål, das »Buch-Norwegisch« – auf westnorwegischen Dialekten basiert. Abseits der Großstädte schuf Vesaas ein hochmodernes, lyrisch-präzise verknapptes Werk mit rätselhaft-symbolistischen Zügen, für das er mehrmals für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Als seine Meisterwerke gelten »Das Eis-Schloss« – von Siri Hustvedt als ihr Lieblingsbuch benannt –, für das er 1964 den Preis des Nordischen Rats erhielt, und »Die Vögel«, das Karl-Ove Knausgård als »besten norwegischen Roman, der je geschrieben wurde« bezeichnete..
Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959 in Berlin, übersetzt aus dem Französischen, Norwegischen und Italienischen u. a. Werke von Kjell Askildsen, Albert Camus (Theater), Louis-Ferdinand Céline, Tomas Espedal, Jon Fosse, Henrik Ibsen und Tanguy Viel. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. erhielt er 2018 den Königlich Norwegischen Verdienstorden und war 2021 mit der Übersetzung von Tarjei Vesaas’ »Die Vögel« für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert..
Hanne Ørstavik, geboren 1969 in Tana, Finnmark, in Norwegen, ist eine der profiliertesten norwegischen Gegenwartsautorinnen. Sie hat eine große Leserschaft und wurde mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihr Roman »Liebe« wurde in elf Sprachen übersetzt.
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Frühlingsnacht
Tarjei Vesaas (1897–1970) erreichte mit seinem Schreiben eine einzigartige Meisterschaft: klar komponierte Geschichten, eine verdichtete, geradezu glühende Sprache, eigenwillige Figuren voller Spannungen, die ihrer inneren Stimme folgen. In .Frühlingsnacht. steht der 14-jährige Hallstein im Mittelpunkt, gerade an der Schwelle zwischen Kindlichkeit und Erwachsenensein, der mit seiner älteren Schwester Sissel über Nacht allein zu Hause bleibt, als die Eltern zu einer Beerdigung in die nahe Ortschaft fahren. Hitze und Feuchtigkeit liegen drückend auf dem Tag, und als die Geschwister sich zum Abendessen setzen, klopft es an der Tür. Eine fremde Familie benötigt nach einer Autopanne Unterkunft, zumal eine junge Frau kurz vor der Entbindung steht. Alle sind in Aufruhr, die Besucher bringen dramatische Konflikte mit, und die Frühlingsnacht wird zu einem Abenteuer, das Ungeklärtes zutage befördert und jeden verändert zurücklässt.
Tarjei Vesaas schafft mit wenigen Strichen eine verzauberte Atmosphäre. Die norwegische Natur um das Haus blüht und wächst, Bäume schlagen aus, Knospen springen auf, und der unaufhaltsame Lebenstrieb sprießt auch in Hallstein und Sissel. Durch Hallsteins Augen nehmen wir das Geschehen wahr, und ohne dass es Erklärungen gäbe, verstehen wir nach der Lektüre mehr von dem, was in und um uns wirkt. Hinrich Schmidt-Henkels Übersetzung gelingt das Wunder, das auch Vesaas’ Prosa so magisch macht: Vieles bleibt unausgesprochen, verharrt in Andeutungen, und doch entsteht zwischen den Zeilen ein poetischer Raum, eine eigene Welt, die Trost bietet und die man nicht mehr verlassen möchte.