›Senilità‹, laut Montale ein »nahezu vollkommener Roman«, ist ein Schlüsselwerk der klassischen Moderne in Italien. Der begnadete Ironiker Italo Svevo wendet sich in seinem wohl schonungslosesten Buch der Liebesleidenschaft zu. Mit analytischer Brillanz schildert er den Lebenszyklus eines vergeblichen Begehrens.
Wie kann man so blind sein für die eigenen Schwächen und Mängel? Svevo läßt seinen Protagonisten Emilio wahrhaftig leiden. Er möchte sich von seiner bedrückenden Schwesterbindung lösen, indem er bei Angiolina sein Glück findet. Doch weit gefehlt. Seine bizarre Altklugheit wird sich auflösen , indem er bemerkt wie grausam Angiolina mit seinen aufrichtigen Gefühlen spielt. Seine Schwester findet auch nicht zu ihrem wahren Liebesglück. Die Unfähigkeit zu den richtigen Lebenspartner zu gelangen dürfte in der Familie liegen. Trotz menschlichen Höllenquallen findet Emilio zu menschlicher Reife.
Lektüre ab dem 40. Lebensjahr!!!
"Wie alle Menschen, die nicht wirklich leben, hielt er sich für stärker als die größten Geister, für gelassener als die eingefleischtesten Pessimisten"
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Italo Svevo hat uns mit „Senilitá“ ein überragendes Meisterwerk der italienischen Literatur hinterlassen, das uns in mühevoller Sezierkunst das eindringliche Psychogramm Emilio Brentanis, einem unscheinbaren Versicherungsangestellten aus Triest, vor Augen führt. Quälende, fieberhafte Eifersucht, dies ist das alles durchdringende Leitmotiv in diesem Roman, der zu Recht mit Marcel Prousts „Eine Liebe Swanns“ und Iwan Gontscharows „Oblomov“ verglichen werden kann. Lange Zeit unbeachtet, geradezu vollständig ignoriert geblieben, schien das Werk verloren, wäre da nicht James Joyce gewesen, sein damaliger Englischlehrer, der nach der Überreichung des Buches verdutzt konstatieren musste, dass ein großes literarisches Werk vorläge. Svevo ist ein Meister der psychologischen Sezierung, der Dekonstruierung von falschen Äußerlichkeiten, gar falscher Ich-Ideale im Sinne Sigmund Freuds, dessen Schriften ihm nicht nur bekannt waren, sondern die er sogar ins Italienische übersetzt hat. Svevo durchleuchtet seine Protagonisten genauestens, zergliedert ihre psychologischen Strukturen bis in die letzte Daseinsfalte hinein, um dann deren diffuse Leere zum Vorschein zu bringen, die die tiefgreifenden Risse einer vermeintlich aufgeklärten Moderne tragisch zum Vorschein zu bringen vermag. Nun, wer ist dieser Emilo Brentani also, dieser selbstgerechte Zauderer, dessen Seinsweise die eines Zusehenden, eines trägen Unbeteiligten ist? Ein gänzlich unerfahrenes Individuum oder um Svevo zu zitieren: „Er wich allen Gefahren aus, aber auch allen Genüssen – dem Glück. Jetzt, da er fünfunddreißig Jahre alt war, entdeckte er plötzlich in sich eine unbefriedigte Sehnsucht nach Freude und Liebe und empfand auch schon die Bitterkeit, sie nicht genossen zu haben.“ Emilo, ein Lebensvermeider, ein Mann des Fin-de-Siècle, jemand der kaum um seine eigene Existenz weiß und sich auf nichts Festes in sich berufen kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Titel „Senilitá“ eben auch als Studie der Greisenhaftigkeit charakterisieren, der weniger das Alter Emilios meint als vielmehr dessen passive Haltung dem Leben gegenüber. Kunst und Liebe, sie könnten in nihilistischen Zeiten narkotisieren, überdecken, dem universellen Nichts ein Nichts von heroischer Tragweite verleihen, doch vermögen es diese Zutaten nicht im Leben Bretanis Ruhe und Festigkeit zu verheißen. Svevo schildert uns in diesem Werk mit akribischer Gewissenhaftigkeit die Beziehung Brentanis zu Angiolina, einem triestinischen Mädchen. Genauer, Svevo demonstriert uns das Walten einer zerrütteten Einbildungskraft eines Menschen, der dem einbrechenden Leben nicht gewachsen ist, der durchgängig damit beschäftigt ist, sein Vorstellungsvermögen zu zähmen und es doch nur immer weiter anfacht. Wir wohnen einer krankhaften Überhitzung bei, die uns anhand von Brentani exemplarisch vorführt, das jede noch so raffinierte Selbstreflexion nichts dagegen auszurichten vermag, wenn brennende, unerfüllte Leidenschaften diese Gedanken nur stets von neuem anfachen. Sich selbst überschätzend, glaubt er immun gegen die Verlockungen des Lebens zu sein, denn: „ Wie alle Menschen, die nicht wirklich leben, hielt er sich für stärker als die größten Geister, für gelassener als die eingefleischtesten Pessimisten. Er blickte um sich und betrachtete die Dinge, die zu stummen Zeugen des großen Ereignisses geworden waren.“ Mit der Bekanntschaft Angiolinas erwacht in Folge etwas in ihm, etwas das lange Zeit keine Nahrung fand und sich nun ungebrochen, höchst phantasievoll verwirklichen will. Gleich einem kristallisierten Blatt, bekleidet Emilios expansive Einbildungskraft Angiolina dermaßen, wodurch Bild und Wirklichkeit voneinander abzuweichen beginnen. Er erschafft sich seine eigene Lüge, er weiß darum und folgt dem fieberhaften Sog, in der Hoffnung Liebe zu erlangen. Doch sie zerrinnt in seinen Händen, lässt sich nicht fixieren und so zeigt es sich, dass sein Versuch Angiolina zu lieben zwangsläufig scheitern muss aufgrund des Umstandes, dass er sich in seinen Projektionen nur immer weiter verliert. Svevo dekonstruiert Emilios Selbstverständnis, seine eingebildete Identität bis an den Punkt, an dem läuternde Katharsis schmerzlich den Blick auf die unverstellte Selbstheit zu offenbaren vermag. Am Ende wurde er sich klar darüber: „dass sein ganzes Unglück von seinem tatenarmen Leben herrührte. Wäre ihm nur ein einziges Mal in seinem Leben die Aufgabe zugefallen, ein Tau rechtzeitig loszumachen und wieder zu befestigen, wäre das Schicksal eines Seglers, selbst des allerkleinsten, ihm, seiner Aufmerksamkeit und seiner Energie anvertraut gewesen, hätte er mit seiner Stimme das Lärmen des Windes und des Meeres übertönen müssen, dann hätte er sich nicht so schwach und unglücklich gefühlt.“ Italo Svevo zeigt uns das Porträt des modernen wurzellosen Menschen, der den Bezug zu sich verloren hat, der das eigene Leben nur noch tatenlos beobachten kann. Den äußerlichen Reizen nicht gewachsen, stellt sich Agonie und Überforderung ein.
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