Elementarteilchen‹ ist der unmoralische Roman eines großen Moralisten: Michel Houellebecq berichtet in präziser Sprache und mit minuziöser Sachlichkeit vom glücklosen Leben der Halbbrüder Bruno und Michel, erst in der französischen Provinz, dann in Paris. Sie teilen eine egoistisch lieblose Mutter aus der 68er Generation, die sich ihrer sexuellen Selbstverwirklichung ausschweifend widmet – und sie teilen ihre von kalter Einsamkeit geprägte lebenslange Verstörung. Bruno, der Ältere, wird zum sexmanischen Opfer seiner fanatisch-verzweifelten Obsessionen. Michel ist Molekularbiologe und verbringt sein autistisches Forscherleben zwischen Supermarkt und Psychopharmaka – bis er in einem gentechnischen Institut in Irland das unsterbliche und geschlechtslose menschliche Wesen klont – die Vision jenseits des Egoismus und sexuellen Elends.
Mit Michel und Bruno entwirft Michel Houellebecq zwei Lebensläufe am »Ende der alten Ordnung«. Ein visionärer Gesellschaftsroman, voll Verachtung für den Fin-de-siècle-Materialismus und ein Abgesang auf unsere Zeit.
Ich wollte auch mal etwas von ihm gelesen haben, dem man so einen literarischen Anspruch nachsagt. Nachdem ich „Elementarteilchen“ beendet habe, wird es wohl kein Wiedersehen mit einem Werk dieses Autors geben.
Das Kennenlernen der beiden Protagonisten hat mir keine guten Gefühle bereitet. Auch keine der guten schlechten, die während des Lesens einen Reflektionsprozess auslösen. Von dem einen war ich gelangweilt, von dem anderen verärgert. Die beiden Halbbrüder Michel und Bruno wachsen unterschiedlich auf; der eine gräbt sich in seine autistische Welt ein und widmet sich der Forschung in der Biologie, der andere verachtet seine Mutter Zeit seines Lebens für ihre Selbstsucht und sexuelle Obsession, müsste sich strenggenommen jedoch derselben Anklage stellen.
Während ich mich von Michels Kapiteln nicht angezogen gefühlt habe, da sie mir einfach zu theoretisch waren, hatte ich für Brunos Teil der Geschichte überwiegend nur Verachtung übrig. Konnte ich noch mit seiner schweren Kindheit und seinem Stand als Opfer der Grausamkeiten seiner Mitschüler noch sympathisieren, war damit spätestens bei seiner (post-)pubertären Sexbesessenheit und dem aus der Nichterfüllung dieser resultierenden Selbstmitleids Schluss, die mich nicht nur ein mal an die „Incel“-Kultur („involuntary celibates“) denken lassen musste.
Insgesamt war dieser Roman für mich verschwendete Zeit, und ich werde stark in mich gehen müssen, ob ich mich an einen weiteren Houellebecq wagen werde.
Requiem auf die Menschheit - zum Schreien komisch
Thomas Röthlisberger aus Bern am 08.08.2016
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Es kommt selten vor, dass ich beim Lesen eines Buches in lautes Lachen ausbreche, was mir jedoch bei folgender Szene im Buch «Elementarteilchen» von Michel Houellebecq passierte:
Die Leiterin des Creative-Writing-Kurses hatte langes schwarzes Haar, einen grossen Mund mit karminroten Lippen (einen Mund von der Art, die man gemeinhin ein «Lutschmäulchen» nennt); sie trug eine weite, schwarze Hemdbluse und eine schwarze Keilhose. Hübsche Frau, sehr apart. Trotzdem eine alte Schlampe, dachte Bruno, als er sich irgendwo in den Kreis hockte, den die Teilnehmer mehr oder weniger bildeten. Rechts von ihm sass eine dicke, grauhaarige Frau mit starken Brillengläsern und furchtbar fahlem Teint, die laut schnaufte. Sie stank nach Wein; dabei war es erst halb elf.
«Um unsere gemeinsame Anwesenheit zu begrüssen», sagte die Leiterin zum Auftakt, «um die Erde und die fünf Himmelsrichtungen zu begrüssen, beginnen wir den Kurs mit einer Bewegung des Hatha-Yoga, die den Namen Sonnengruss trägt.»
Darauf folgte die Beschreibung einer unverständlichen Stellung; die Rotweinelse neben ihm gab den ersten Rülpser von sich. «Du bist abgespannt, Jacqueline …», kommentierte die Yogini, «mach die Übung nicht, wenn dir nicht danach ist. Leg dich lang hin, die anderen tun es gleich auch.»
Es ist mir bewusst, dass ich hiermit meinen Hang zu primitivem Humor offenbare. Aber die Szene ist wirklich zum Schreien komisch. Welcher Creative-Writing-Kurs beginnt schon mit einer Yogaübung? Ich kann mir gut vorstellen, mit welchem Ernst und Eifer die Teilnehmenden tun, was die Leiterin sagt. Nur Bruno scheint das Ganze nicht geheuer, was sich durch den Hinweis auf die fünf Himmelsrichtungen äussert. In all diese Ernsthaftigkeit ertönt ein Rülpser einer betrunkenen Teilnehmerin, was das Ganze ins völlig Absurde abdriften lässt.
Ich gebe zu, dass ich auch lachen muss, wenn zum Beispiel jemand im Lift, umgeben von fremden Personen, laut furzen muss. Oder andere peinliche Situationen, die mir oder anderen widerfahren. Aber ich denke, lachen ist die beste Art mit peinlichen Situationen umzugehen, statt sich zu schämen oder gar fremdzuschämen.
Ansonsten gibt es nicht sehr viel zu lachen in diesem Buch. Oder das Lachen bleibt einem im Halse stecken, so dass man lieber kotzen würde. Und ich bin mir unschlüssig, ob ich es gut oder schlecht finden soll. Aber vielleicht braucht es gar kein weiteres Urteil. Denn es wurde schon so viel über dieses Buch und den Autoren Michel Houellebecq geschrieben. Er wurde zum Reaktionär, zum Faschisten, zum Frauenverachter und zum Buddhisten erklärt. Von Genie bis Scharlatan. Sein Buch wurde zum Skandalbuch hochstilisiert, was vor allem die Verkaufszahlen in die Höhe trieb.
Es erzählt die Geschichte vom glücklosen Leben der Halbbrüder Bruno Clément und Michel Djerzinski, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Bruno, der Lehrer, entwickelt eine lebenslange Sexbesessenheit, hat aber beim anderen Geschlecht kaum Glück. Der depressiv wirkende Michel, der ein bekannter Forscher auf dem Gebiet der Molekularbiologie wird, zeigt dagegen wenig Interesse an Sex und Frauen. Kurz gefasst: Bruno ist Sexualität ohne Fortpflanzung, Michel ist Fortpflanzung ohne Sexualität. Das Einzige, was die beiden verbindet, ist das Schicksal, die einsamen und ungeliebten Söhne einer egoistischen Mutter zu sein.
«An Obszönität haben Film und bildende Kunst die Literatur längst überflügelt. Anstößig ist der Roman vor allem wegen der Rücksichtslosigkeit, mit der hier die antimodernen Einwände gegen das moderne Leben mit größter Lautstärke, mit der Wucht eines Schlags in die Magengrube wiederholt werden.»
In der sexuellen Befreiung sieht er die Schuld für die Vereinsamung der Menschen. Und dies zu einer Zeit als es noch kein Internet gab. Insofern ist «Elementarteilchen» ein visionäres Buch. Visionär auch im Sinne einer Science Fiction im letzten Kapitel. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse des Molekularbiologen Michel Djerzinski, gelingt es die zweigeschlechtliche Fortpflanzung, also die Sexualität, abzuschaffen und ein perfekt geklonter, geschlechtsloser Mensch zu erschaffen, jenseits des Egoismus und sexuellen Elends. Am Ende des Buches wird einem klar, dass der Erzähler selber zu dieser neuen Spezies gehören muss und deshalb die Geschichte von Bruno und Michel so geschrieben hat, wie er sie geschrieben hat.
Definitiv nichts für literarische Beckenrandschwimmer.
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Elementarteilchen ist, gerade aufgrund seiner einfachen Kulisse, ein klassischer "Unter-Die-Haut-Geher". Sollte jeder gelesen haben, der über "Glück" nachdenkt.
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Eines dieser Bücher, dessen traurige Kälte einen verstört zurück lässt, während man von Houellebecqs gnadenlosen und grausamen Humor immer wieder in die Seiten gezogen wird.
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