Anja ist eine kluge, sensible, schöne Frau von Mitte vierzig. Sie lebt seit dem Tod ihres Sohnes von ihrem Mann getrennt. Als sie erfährt, dass sie nicht mehr lange zu leben hat, beschließt sie, nur noch das zu tun, was ihr Freude macht. Sie begibt sich mit ihren besten Freundinnen auf eine Nilkreuzfahrt, auf der sie den jungen Aziz kennenlernt, der sich Hals über Kopf in sie verliebt...
Sehr schön geschrieben. Eindrücklich und tiefes Empfinden. Zu empfehlen.
Das Buch hat mich sehr beeindruckt und nachdenklich gemacht. Über mein eigenes Leben und was noch kommt.
Es ist eine alltägliche Großstadtszene, welche "Die letzte Reise" von Brigitte Baur einleitet. Hektik. Straßenlärm. Geistig abwesende Menschen, die gedanklich wohl bei Dingen sind, für welche sie, so behaupten sie es zumindest, eigentlich keine Zeit haben. Wie relativ besagtes Zeitempfinden sein kann, lernt Protagonistin Anja auf die schmerzlichste Weise. Als sie nämlich erfährt, dass sie bald sterben wird, fällt eine Welt in sich zusammen. So trügerisch erscheinen plötzlich die simpelsten Routinen, so schmerzlich gar. Es ist, wie es vorher war. Und doch ist alles anders.
Ein Netz aus Fragen tut sich auf wie ein herannahender Sturm. Wie soll man seine Liebsten mit einer solchen Nachricht konfrontieren? Wie wird sich dies auf die jeweiligen Beziehungen auswirken? Woran soll man sich festhalten, wenn plötzlich nichts mehr von Bestand ist? Anja, durch den Tod der Eltern und des geliebten Sohnes ohnedies schon gezwungen, ihre Bürden durch die Welt zu tragen, sieht sich mit der Situation überfordert und treibt dahin, verängstigt, sich umzuschauen, weil der Tod an jeder Ecke lauern könnte. Zuflucht findet sie bei ihren Freundinnen, welche sich, selbst nach Offenbarung der fatalen Diagnose, weigern, Anja mit Samthandschuhen anzufassen. Eine letzte Reise nach Ägypten sollen sie noch unternehmen. Ein letztes Mal dem Alltag entfliehen. Mit diesem verschwende man ohnehin den größten Teil seiner Zeit. Doch was als ein Ausflug unter Freundinnen beginnt, entwickelt sich für Anja schnell zu einem unerwarteten Abenteuer. So lernt sie den jungen Aziz kennen, welcher in ihr Gefühle einer fast schon jugendlichen Verliebtheit entflammen lässt. Ihre Krankheit und persönlichen Traumata bleiben in Aziz Gegenwart unerwähnt. Es scheint fast so, als hätte Anja die Geister, welche sie verfolgt haben, in Wien zurückgelassen. Da ist sie nun, in Ägypten, weiße Kleider tragend und so das Licht und die Summe aller Farben in sich vereinend.
Besagter Einsatz von Farben ist ein stilistisches Element, welches sich gleichsam als ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht. Nicht selten wird das Thema aufgegriffen, mal wörtlich beispielsweise, wenn Anja sich zum Ziel setzt, ein Bild zu malen, und bei der Auswahl der jeweiligen Farben an wichtige Personen in ihrem Leben denkt , jedoch zumeist implizit, zwischen den Zeilen verborgen. Durch immer wieder eingeschobene Rückblenden lernt der Leser zum einen die zahlreichen Schattierungen von Anjas Leben kennen, zum anderen werden dem Spektrum neue Farben hinzugefügt, indem sich durch Perspektivenwechsel die Gefühlswelten anderer Charaktere offenbaren. Es ist jedoch kein feststehendes Bild der Figuren, welches dem Leser vorgesetzt wird. Vielmehr fungiert dieser als Schatten, die Charaktere auf ihrem Wege begleitend und zugleich Zeuge ihrer persönlichen Entwicklungen werdend. Stillstand, sooft er in Die letzte Reise auch erwähnt und thematisiert wird, scheint eher einem unerreichten Gedankenkonstrukt zu gleichen, denn alles fließt, alles verändert sich. So wird augenscheinlich, dass trotz der Wichtigkeit der Begegnung mit Aziz für Anja eine andere von wesentlich zentralerer Bedeutung ist: diejenige mit sich selbst.
Brigitte Baur stellt in "Die letzte Reise" das Thema der Selbstfindung nicht als ein Dartspiel, sondern vielmehr als ein Aufeinanderfolgen von Momentaufnahmen dar. Durch den stetigen Fluss des Lebens und der Ereignisse, welche sich darin abspielen, verändert sich auch der Mensch selbst. Er wird abgetragen, teils auch verletzt und beschmutzt, um schließlich wieder reingewaschen zu werden. Wenn der Strom zu stark ist, kann es passieren, dass man sein Selbst aus den Augen verliert und erst wesentlich später, an einem anderen Punkt wiederfindet, jedoch in verändertem Zustand. Durch die Stellung der Diagnose etwa sieht Anja ihre Existenz in einem anderen Licht. Die bittere Erkenntnis, dass sich das Leben dem Ende zuneigt, verleiht einem jeden Ereignis eine ganz spezielle Bedeutung. Plötzlich wird Anja unwohl, als der Christbaumverkäufer mit einem Wiedersehen im nächsten Jahr rechnet. Plötzlich überdenkt sie ihre persönliche Definition von Vergebung und den Sinn derer. Plötzlich verliert der Begriff der Sparsamkeit für Anja jegliche Bedeutung, viel lieber geht sie ins Theater, ins Kino, gestattet sich selbst kleine Glücksmomente, pur, ungetrübt durch Schuldgefühle und Skepsis. Sie bricht aus ihrem persönlichen Alltag aus, und lächelt dem Tod in sein einst so furchterregendes Antlitz.
Auch beim Lesen selbst ist nicht zu übersehen, wie das Thema des Todes im Laufe der Geschichte an Schwere verliert, was zum einen an der Figur der Anja selbst liegt, zum anderen jedoch definitiv auch an dem Erzählstil der Autorin Brigitte Baur. Es sind die bemerkenswerte Liebe zum Detail sei es nun in Beschreibungen von Handlungen und alltäglichen Dingen oder in den Schilderungen der Gedankenwelten der Charaktere und ein humorvoller Unterton, welche "Die letzte Reise" beflügeln und der Erzählung, trotz ihrer unbestreitbaren Tragik, eine gewisse Leichtigkeit verleihen. Es bestätigt sich somit abermals, was Baur bereits in ihrem Erstlingswerk, "Liebe Frau Professor, liebe Brigitte", unter Beweis gestellt hat: Sie spielt mit der Sprache und benutzt diese selbst, nicht nur den zu vermittelnden Inhalt, als künstlerisches Mittel. Mal melancholisch, mal luftig-leicht, doch immerzu mit einer gewissen Nachdenklichkeit verbunden, erschafft Brigitte Baur auf rund 170 Seiten eine kleine Welt und tut das, was sie am besten kann: Geschichten erzählen. Was sich daraus ergibt? Ein Buch voller Weisheiten, welches in einer Manier, welche an Paulo Coelhos "Der Alchimist" erinnert, die Schatten der Melancholie mithilfe von Licht und Farben durchbricht. Sehr empfehlenswerte Lektüre!
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