Die Sachbuch-Bestenliste Juli/August 2020: Platz 4 (Vormonat: Platz 1)
Die letzte Woche des Dritten Reiches hat begonnen. Hitler ist tot, aber der Krieg noch nicht zu Ende. Alles scheint zum Stillstand zu kommen, und doch ist alles in atemloser Bewegung. Volker Ullrich schildert Tag für Tag diese «zeitlose Zeit» und entführt den Leser in eine zusammenbrechende Welt voller Dramatik und Gewalt, Hoffnung und Angst. Sein Buch ist eine unvergessliche Zeitreise in den Untergang.
Mai 1945: Während die Regierung Dönitz nach Flensburg ausweicht, rücken die alliierten Streitkräfte unaufhaltsam weiter vor. Berlin kapituliert, in Italien die Heeresgruppe C. Raketenforscher Wernher von Braun wird festgenommen, Marlene Dietrich sucht in Bergen-Belsen nach ihrer Schwester. Es kommt zu einer Selbstmordepidemie und zu Massenvergewaltigungen. Letzte Todesmärsche, wilde Vertreibungen, abtauchende Nazi-Bonzen, befreite Konzentrationslager– all das gehört zu jener «Lücke zwischen dem Nichtmehr und dem Nochnicht», die Erich Kästner am 7. Mai 1945 in seinem Tagebuch vermerkt. Volker Ullrich, der große Journalist und Hitler-Biograph, hat aus historischen Miniaturen und Mosaiksteinen ein Panorama dieser «Acht Tage im Mai» zusammengefügt, das sich fesselnder liest als mancher Thriller.
Historiker Volker Ullrich nimmt seine Leser auf eine fesselnde Zeitreise in das Deutschland zwischen dem 30. April und dem 8. Mai 1945 mit. Dabei verbindet er unzählige zeitgleich stattfindende, dabei aber oft gegenläufige Ereignisse zu einer Gesamtdarstellung.
Erich Kästner vermerkt am 7. Mai 1945 in seinem Tagebuch, „Leute laufen betreten durch die Straßen. Die kurze Pause im Geschichtsunterricht macht sie nervös. Die Lücke zwischen dem Nichtmehr und Nochnicht irritiert sie sehr.“ (S.11)
Genau von diesem Vakuum zwischen alter und neuer Ordnung handelt dieses Buch.
Im Prolog entzieht sich Adolf Hitler gemeinsam mit Eva Braun im Führerbunker seiner Verantwortung für die Gräuel des NS-Staates durch Selbstmord. Damit ist der Zweite Weltkrieg noch nicht zu Ende. Einige Weggefährten Hitlers rechnen sich im Rennen um dessen Nachfolge Chancen aus. Doch „Erbe“ wird Großadmiral Karl von Dönitz, der mit seiner Regierung für eine knappe Woche die Geschicke des Deutschen Reiches von Flensburg aus lenkt. Es wird noch acht Tage dauern, bis die Regierung Dönitz und damit Nazi-Deutschland endlich die bedingungslose Kapitulation unterschreibt.
Volker Ullrich beschreibt diese langen „Acht Tage im Mai“aus verschiedensten Perspektiven.
Alles ist in Bewegung, alles fließt „panta rei“. Auf der einen Seite rücken die westliche Alliierten unaufhaltsam vor und die Sowjetarmee liefert sich mit den letzten Einheit der Wehrmacht einen Kampf Haus um Haus in Berlin. Nach wie vor leisten Teile der Wehrmacht erbitterten und dennoch sinnlosen Widerstand.
In diesen acht Tagen verüben die Schergen Hitlers noch zahlreiche Gräueltaten, die nicht mehr vom Diktator selbst angeordnet worden sind, sondern auf völlige Verrohung der Beteiligten schließen lassen:
„Der Mord an den KZ-Häftlingen in der Phase der Todesmärsche war nicht von oben angeordnet und zentral gesteuert, vielmehr entwickelte er sich in einem unkoordinierten, dynamischen Prozess von unten, … ein schlagender Beleg dafür, in welchem Ausmaß der Virus entfesselter Gewalt von Teilen der deutschen Gesellschaft Besitz ergriffen hatte.“
Es kommen berühmte Zeitzeugen wie Erich Kästner, Mitglieder der Familie Mann, Simon Wiesenthal oder Marlene Dietrich zu Wort. Doch auch wenig prominente Überlebende, wie untergetauchte Juden oder Regimekritiker werden zitiert.
Diese Seitenblicke auf „normalen“ Bürger, die die Bombennächte in Bunkern und Kellern überlebten, finde ich sehr interessant. Daneben erfahren wir auch einiges über Menschen, die später in beiden Deutschlands (BRD und DDR) eine Rolle spielen werden: Willy Brandt, Konrad Adenauer, Hannah Ahrendt, Walter Ulbricht und Erich Honecker. Es ist aber auch von Personen, wie unter anderem Wernher von Braun und/oder der Familie Quandt die eine ambivalente, wenn nicht zwielichtige Roller während der NS-Zeit gespielt haben die Rede.
Dem Autor gelingt es, ein umfassendes Bild der damaligen Situation zu entwerfen, indem auch das wehleidige Getue der ehemaligen Machthaber bzw. der deutschen Bevölkerung nicht fehlen darf. Ein großer Teil fühlt sich als „Opfer“ der fremden Armeen und „war eh niemals in der Partei“. Diese Einstellung herrscht sehr, sehr lange vor, manchmal noch bis heute. Auch die unmenschliche Behandlung der Kriegsgefangenen durch die Amerikaner (Stichwort „Rheinwiesenlager“) sowie die Plünderungen und Massenvergewaltigungen (hauptsächlich) durch Angehörige der Sowjetarmee ergänzen das Szenario dieser acht Tage im Mai.
Die letzten drei Sätze im Epilog dieses Buches muss ich, in Anbetracht so mancher „blinder Flecken“ und dem seltsamen Geschichtsverständnis mancher Personen und/oder politischer Gruppen, hier zitieren:
"Neben all der Zerstörung, der Selbstgerechtigkeit und der Unfähigkeit zu trauern, zeigten sich so schon erste zarte Knospen des Neuanfanges. Doch es sollte noch dauern, bis die Demokratie, die unter Anleitung von Amerikanern, Briten und Franzosen reimplantiert wurde, in der Bevölkerung der Westzone Wurzeln schlug. Man muss sich das Ausmaß der Verheerungen, der materiellen wie moralischen, vor Augen halten, um zu begreifen, wie unwahrscheinlich dies am 8. Mai 1945 erscheinen musste und welche Errungenschaft es bedeutet, heute in einem stabilen, freiheitlichen und friedlichen Land leben zu können. Vielleicht ist es an der Zeit, daran zu erinnern." (S.253) Dem ist wenig hinzuzufügen.
Obwohl ein Sachbuch, liest sich das Werk eingängig. Der Schreibstil ist mitreißend und dennoch kann sich der Leser den Schilderungen der Gräuel nicht entziehen. Zahlreiche Fotos ergänzen das Buch und die Anmerkungen bzw. Quellenangaben umfassen rund 40 Seiten. Also eine Fundgrube, die sich weiter in diese Materie einlesen wollen.
Fazit:
Volker Ullrich gibt in diesem Buch aufschlussreiche Einblicke in den letzten des Deutschen Reiches, wobei er unzählige zeitgleich stattfindende, aber oft gegenläufige Ereignisse zu einer Gesamtdarstellung vereint. Gerne gebe ich für dieses Buch 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung.
Beeindruckende Zeitreise!
Igelmanu66 aus Mülheim am 17.03.2021
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
»Am 7. Mai 1945 schrieb der Schriftsteller Erich Kästner in sein Tagebuch: »Leute laufen betreten durch die Straßen. Die kurze Pause im Geschichtsunterricht macht sie nervös. Die Lücke zwischen dem Nichtmehr und dem Nochnicht irritiert sie.« Von dieser Phase des »Nichtmehr« und »Nochnicht« handelt dieses Buch.«
Nach dem Selbstmord Hitlers am 30. April 1945 begann die letzte Woche des Dritten Reiches. An ihrem Ende, am 8. Mai 1945, stand die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und damit das Ende des 2. Weltkriegs in Europa. Aber was geschah in dieser Woche? Erich Kästner drückte sein Empfinden in gewohnt treffenden Worten aus, so wie ihm war Millionen von Menschen klar, dass es die alte Ordnung nicht mehr gab, aber eben auch noch keine neue.
Volker Ullrich, Historiker und Autor von unter anderem der zweibändigen Biographie „Adolf Hitler“, hat sich dieses Zeitraums angenommen. Gut 50 Seiten kleingedruckter Anhang zeugen von akribischer Recherche. Das Ergebnis ist eine fundierte, fesselnde und gut zu lesende Chronik, die durch den vielfältigen Wechsel der Perspektiven besticht.
Da verfolgt man mal die Vorgänge in Berlin, mal in Köln, am Obersalzberg, in Flensburg, Amsterdam, Breslau und an diversen anderen Orten. Mal steht die reine Politik im Mittelpunkt, mal Kriegsverbrechen oder der schlichte Überlebenskampf der Menschen. So lese ich also abwechselnd von Machtfragen und Massenselbstmorden, von der Dönitz Regierung, dem Prager Aufstand, von „Displaced Persons“, Todesmärschen und Kapitulationsverhandlungen. Schon nach wenigen Seiten ist mir klar: In dieser kurzen Phase zwischen dem „Nichtmehr und dem Nochnicht“ passierte unglaublich viel.
Alle Beschreibungen sind intensiv und nah an den agierenden Personen. Ich erfahre einige Dinge, die mir so noch nicht bewusst waren. So fand ich zum Beispiel den Gedanken faszinierend, dass kurz nach Kriegsende Deutschland tatsächlich zum vorübergehenden Zufluchtsort für jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa wurde. Oder die Geschichte über den ausharrenden Cheftechniker im Tiefbunker der Reichskanzlei am 2. Mai, der sich vor dem Eintreffen der Roten Armee fürchtet: Was dann passiert, kann man schon fast als Anekdote bezeichnen.
Überhaupt die Tatsache, wie lang sich die Kampfhandlungen an manchen Stellen noch hinzogen! Breslau zum Beispiel gehörte zu den letzten deutschen Städten, die kapitulierten. Während dort die Bevölkerung noch immer zum Kampf gegen den Bolschewismus aufgefordert wurde, blickte man in anderen Teilen Deutschlands bereits in die Zukunft, gründete sich beispielsweise in Hannover ein neuer SPD-Ortsverein. Es ist ein großes Plus dieses Buchs, dass einem solche Dinge so bewusst werden.
Natürlich stößt man mit Adenauer, Brandt, Schmidt und anderen auch auf viele wichtige Namen aus der Nachkriegsgeschichte, mit Marlene Dietrich kommt auch noch etwas Hollywood hinzu. Passende Fotos und eine große Übersichtskarte „Das Deutsche Reich im Mai 1945“ ergänzen alles perfekt.
Fazit: Beeindruckende Zeitreise! Fesselnde Lektüre mit umfangreichen Infos.
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Als im Jahr 1945 der Mai den Frühling einläutet, beginnen für die Menschen in Deutschland jene acht Tage, die eine prägende Rolle in ihrem Leben spielen werden.
Von geheimen Teilkapitulationen, über langersehnte Befreiungen, bis hin zum verzweifelten kollektiven Selbstmord ganzer Dörfer zeigt der Autor Volker Ullrich eine geschichtlich beinahe einzigartige Woche auf und erklärt, Tag für Tag, von welchen Gefühlen die Menschen in dieser Zeit geleitet werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei Tagebücher von Zeitzeugen. Ein erschreckendes und gleichzeitig geniales geschichtliches Werk.
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"Eine unvergessliche Reise Zeitreise in den Untergang"
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Sehr informativ und interessant dargestellt, was in der letzten Woche des sog. "Dritten Reichs" passierte. Vom Chaos und dramatischen Ereignissen in Deutschland zu Kriegsende bis hin zur "Stunde Null" hat Volker Ullrich es geschafft aus historischen Quellen und Mosaiksteinen ein stimmiges Bild zusammenzufügen, welches die Geschehnisse in der Schwebe zwischen Vergangenheit, zusammenbrechender Gegenwart und der ungewissen Zukunft zusammenfügt und dadurch letztendlich ein gelungenes Gesamtbild schafft.
Den Buchrücken zitierend "eine unvergessliche Reise Zeitreise in den Untergang".
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