Die berühmte Trostschrift des »ersten Scholastikers« der Weltliteratur ist ein ergreifendes Dokument menschlicher Selbstbehauptung. Ein Mann ist des Hochverrats angeklagt und erwartet sein Urteil. Er schwankt zwischen Selbstaufgabe und Hoffnung auf Rettung in letzter Minute. Da erscheint ihm als mächtige Verbündete eine Frau, »die Philosophie«. Sie weist ihm den Weg aus der Verzweiflung und inspiriert ihn zu großen Gedanken. Ihre Botschaft: Nur die volle Erkenntnis der Wahrheit und die Gewissheit göttlicher Vorsehung führen zur ersehnten Glückseligkeit und zur Freiheit des Menschen.
Anicius Manlius Severinus Boethius wurde zwischen 476 und 480 n.Chr. geboren. Er gehörte dem Kreis römischer Vornehmer an, die sich wohl als Verwaltungsbeamte dem König Theoderich zur Verfügung stellten, aber insgeheim die Wiederherstellung der römischen Herrschaft in Italien erhofften. Von seinem Herrn hochgeehrt, war er erfolgreich im Bemühen, ganze Provinzen oder Personen vor Unterdrückung durch ostgotische Mächtige zu schützen. Als er sich für den Konsular Albinus einsetzte, wurde gegen Boethius die Beschuldigung erhoben, er habe die "libertas Romana" wiederherstellen wollen, was als Konspiration mit dem oströmischen Herrscher angesehen wurde. Booethius ist nach längerer Haft ungehört auf Befehl Theoderichs des Großen wohl Ende 524 n.Chr. hingerichtet worden. Sein meistgelesenes und zu allen Zeiten beachtetes Werk wurde die "consolatio philosophiae", die Boethius während seiner Inhaftierung verfaßte.
Ein Buch, welches den Weg zur Erkenntnis, von der unberechenbaren Macht Fortunas, die sich dem Menschen gegenüber als unzuverlässige Instanz herauskristallisiert, zu den wahren, den Seelenfrieden bringenden zeitlosen Ideen führt. Der Gesinnungswandel vollzieht sich in Form eines Heilungsprozesses zwischen dem Autor und der personifizierten Philosophie. Der mit Vorkenntnissen versehene Leser wird die hohe Äquivalenz zu Platon schnell bemerken und seine Kunst der Didaktik wiederentdecken. Boethius, der des Hochverrats bezichtigt und verurteilt wurde, verfasste seine Consolatio nach vorherrschendem Konsens während der Gefangenschaft und wurde kurze Zeit später hingerichtet.
Durch seine Schicksalsschläge geprägt, scheint die Idee des Guten in dieser Welt generell in Frage zu stehen. Er fragt sich nun, ob der Mensch auf sein Schicksal Einfluss nehmen kann, oder ob die Vorsehung Gottes keinen Spielraum mehr für etwaige Willensentscheidungen offenlässt. Zunächst jedoch, ebnet die Philosophie den Weg für das Verstehen des wahren Glücks und offenbart dem Gefangenen, dass sein bisheriges Streben nach irdischen Gütern wie Reichtum, Würden und Macht nur ein Scheinweg sei, der vorgibt diesen Trugbildern nachzueifern und sie für die höchsten zu erreichenden Ziele des Menschen ausgibt. Es gilt die Blickrichtung zu wechseln und sein Leben nicht von den täglich sich materiell aufdrängenden Dingen beeinflussen zu lassen, sondern eine geistige Perspektive einzunehmen, die sich der unveränderlichen Wesensform widmet. Boethius lässt hier seine neuplatonische Prägung durchschimmern, denn auch Platon versuchte sich von der Welt des Stofflichen zu lösen und stattdessen die Quelle des Guten durch den stufenweisen Aufstieg der Seele zu erreichen. Die Reden der Philosophie bewirken nun ihren Trost und ermöglichen ein Einsehen bei Boethius, dem irdischen Streben zu entsagen und bereit für die Erkenntnis Gottes zu sein.
Doch seine gewonnenen Erkenntnisse schlagen sich schnell wieder in große Zweifel um, denn in Anbetracht all der Übel auf der Welt, scheint es sehr abwegig, die Natur durch den Plan eines höchsten Guten geleitet zu sehen. Boethius wirft hier das bekannte Theodizeeproblem auf. Die Philosophie argumentiert mit dem Verweis auf das in allen Lebewesen strebende Verlangen nach Glückseligkeit und das es dem Bösen lediglich an Sein mangelt sein Wesen zu erfüllen. Je nach Abweichung seiner eigenen Konstitution bekomme jeder den ihm zugewiesenen Lob oder Tadel.
Doch gerade diese Zuweisung sieht Boethius nach keinen nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten ablaufen, stattdessen scheinen für ihn Lohn und Strafe willkürlich verteilt zu werden. Der Blick des ganzen Anliegens gleitet nun stetig in das göttliche System ab.
Die Philosophie öffnet ihm die Augen und lehrt ihn, dass alle menschlichen Abläufe, ob sie nun ihrem Wesen entsprechen oder auch nicht, von einer göttlichen Vorsehung gelenkt und korrigiert werden.
Doch wo bleibt da der Raum für freie Willensentscheidung und Zufall. Im fünften und letzten Buch versucht die Philosophie nun in Form eines recht schwierigen Gedankenganges aufzuzeigen, dass
die göttliche Vorsehung noch ein Hintertürchen für die freie Wahl offenlässt.
Insgesamt besitzt das Werk ein Potential, welches unserer heutigen hektischen Gesellschaft wieder die Augen zu öffnen vermag und zu zeigen, dass das Treiben nach immer mehr Besitz und Macht, nicht als die einzigen für erstrebenswert zu haltenden Antriebe angesehen werden sollten.
Trost der Philosophie
Bewertung aus Siegburg am 28.10.2017
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Eine neuwertige, auch im Druck sehr schöne Ausgabe. Hier wird der Wert der Philosophie im äußerlich nicht Sichtbaren, ja Unscheinbaren also kurz in der Bescheidenheit des Lebens gesehen. Und in der Tat liegt in dem sich mit dem was man hat zu bescheiden so etwas wie das Glück als eine Art von innerem Sein, das von Habenwollen, Macht und karrieristischer äußerer Größe nichts weiß bzw. nichts wissen will. Der Trost liegt also in der Unzerstörbarkeit des Inneren Seins, daß uns weit über jede Widrigkeit des Alltags erheben und zur Weisheit gelangen lassen kann. Und der Weise will nichts weniger als ein (verehrter) Heiliger sein.Darin liegt auch eine Abkehr von verunselbständigenden Religionen, die Verstand und Herz des Menschen durch ihre mehr oder weniger fundamentalistischen Lehren mit Anspruch auf gehorsamen Glauben immer noch gefangen halten.
Cornelius Peter, Steinbahn 19, 53721 Siegburg
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