Die Verlockung des Autoritären
Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist - FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS 2024 FÜR ANNE APPLEBAUM
Der von Barack Obama empfohlene Bestseller der Pulitzer-Preisträgerin
Die Erschütterung der liberalen Demokratien wird oft mit der Schwäche der westlichen Werteordnung erklärt. Anne Applebaum wählt einen anderen Ansatz und fragt: Was macht die Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen für viele Menschen so erstrebenswert? An zahlreichen Beispielen - von den Brexiteers bis hin zu den illiberalen Demokratien Osteuropas - zeigt sie, welche Rolle dabei soziale Medien, Verschwörungstheorien und Nostalgie spielen. Ein brillant erzählter, aus persönlicher Erfahrung gespeister Streifzug durch eine westliche Welt, die sich auf erschreckende Weise nach harter Hand und starkem Staat (zurück)sehnt.
„Kein politischer Sieg ist für die Ewigkeit, keine Definition der Nation ist von Dauer, und keine Elite, sei es eine aus Populisten, aus Liberalen oder aus Aristokraten, herrscht für immer.“ (Seite 187)
So beängstigend sich diese Variante von Heraklits „Alle Dinge sind immer im Fluss“ hinsichtlich des Zustands demokratischer Staaten auf der einen Seite anhören mag, so beruhigend empfinde ich sie auf der anderen, denn sie besagt, auch undemokratische Regime sind endlich. Was aber nicht darüber hinwegtäuscht, das aktuell undemokratische Regierungen populär sind. Die Entwicklung dorthin skizziert Anne Applebaum in diesem Buch anhand der Beispiele von Amerika, Polen und Ungarn, Länder, die sie aus eigener Anschauung kennt. Außerdem zeichnet sie nach, wie es zum britischen Brexit kommen konnte. Laut Applebaum begann diese Entwicklung etwa zu Beginn der 10er Jahre.
Ein bestimmter Anteil der Bevölkerung eines Landes (gemäß der Verhaltensökonomin Karen Stenner ist es ein Drittel) hat eine autoritäre Veranlagung, das bedeutet, diese Gruppe sehnt sich nach Ordnung und Homogenität und tut sich schwer damit, Komplexität auszuhalten, Diskussionen sind nicht so ihr Ding. Überzeugen müssen die Autokraten einen Teil der anderen zwei Drittel. Dazu brauchen sie „Leute, die Unruhen anzetteln und die Machtübernahme vorbereiten“ : Intellektuelle, Blogger, Meinungsmacher, Fernsehproduzenten, Journalisten - Leute, die sich ausdrücken können und in der Öffentlichkeit für sie stark machen. Ein wichtiger Aspekt sind Verschwörungstheorien, damit lassen sich selbst rein imaginäre Probleme hochstilisieren und ausschlachten. Man schafft sich also künstlich ein Problem. Außerdem hilft Nostalgie, die ebenso weit verbreitet ist. Applebaum unterscheidet zwei Arten von Nostalgikern: die reflexiven Nostalgiker, die von der Vergangenheit träumen und sich diese zurückwünschen, und die restaurativen Nostalgiker, die aus der Vergangenheit Mythen schöpfen, Denkmäler errichten und nationalistische Bewegungen erschaffen. Man könnte also sagen, dass die Autoritäts-Herbeisehner nicht damit klar kommen, dass die Welt sich weiter entwickelt. Heraklits Panta Rhei ist für sie keine Option.
Sehr spannend ist auch der Gedanke, dass Revolutionen auf Kommunikationsebene stets für radikale politische Veränderungen sorgten. Die Erfindung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert beendete das Informationsmonopol der katholischen Kirche und führte zur Reformation. Die Erfindung des Radios beendete das Monopol des gedruckten Wortes, jetzt konnte man das gesamte Land in seinen eigenen vier Wänden erreichen. Beides hat allerdings entsprechend lange gedauert. Die Erfindung und Zugänglichkeit des Internets jedoch hat eine rasante Entwicklung verursacht und die Verbreitung mannigfaltiger Meinungen, Informationen und Falschinformationen in enormen Mengen und kürzester Zeit erst möglich gemacht.
Ich finde das alles sehr spannend zu lesen und auch einleuchtend. Das Buch ist nicht so trocken-theoretisch, wie ich angenommen hatte. Ich bin noch nicht einmal ganz sicher, ob man es wissenschaftlich nennen sollte, weil die Autorin sich ganz überwiegend mit den Ländern auseinandersetzt, in denen sie gelebt hat oder lebt, und die Geschichten von Menschen erzählt, die sie persönlich kennt oder kannte, sei es als (teilweise frühere) Freunde oder als Interview-Partner. Insofern dürfte es eine Mischung aus hergeleiteten Theorien und persönlichen Erfahrungswerten sein. Das schmälert allerdings für mich persönlich nicht den Erkenntnisgewinn, ich mag es sogar sehr gern, wenn komplizierte Sachverhalte heruntergebrochen werden, so dass sie für den Laien verständlich und nachvollziehbar sind. Deshalb wird dieses Buch sicherlich nicht meine einzige Lektüre von Anne Applebaum bleiben. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Leser, die selbst „vom Fach“ sind, ein einschlägiges Studium haben, sich beruflich mit der Materie auseinandersetzen oder bereits einiges dazu gelesen haben, hier nichts Neues erfahren werden.
Die Historikerin und Journalistin Anne Applebaum ist 1964 in Washington D.C. geboren. Seit 1992 ist sie mit einem polnischen Politiker verheiratet und lebt in Polen; sie hat seit 2013 doppelte Staatsangehörigkeit. Für ihr Buch „Der Gulag“ erhielt sie den Pulitzer-Preis. 2024 wurde sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Wie von einer Pulitzer-Preisträgerin nicht anders zu erwarten, ist das Buch hübsch geschrieben. Inhaltlich ist es allerdings mehr als dürftig. Wer Antworten auf die auf dem Umschlag aufgeworfene Frage: "Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist" erwartet, wird bitter enttäuscht. Alles, was Frau Applebaum anzubieten hat, ist eine lange Reihe nicht besonders interessanter persönlichen Anekdoten, ein paar Verweise auf die Geschichte und die bahnbrechende Erkenntnis, dass sich Menschen in einer komplexen Welt einfachen Erzählungen zuwenden. Ach ja, und irgendwie hat auch das Internet noch Schuld. Als Einblick in eine Welt, zu der die meisten keinen Zugang haben, mag es noch tauglich sein, als Analyse über das Erstarken autoritärer Kräfte ist es allerdings komplett unbrauchbar.
Anne Applebaum hat die Entwicklung der Politik und das Erstarken immer rechterer, autoritärerer Parteien und Politiker*innen selbst miterlebt.
Nun versuchte sie zu erklären, wie es dazu kommt, dass "normale Menschen" autoritäre Mächte unterstützen. Sie bietet schon interessante Analysen, die wichtige Rolle einer rechten, intellektuellen Elite, die solche Ideen salonfähig macht, ist nur eine davon, doch Applebaum verpasst einige wichtige Erkenntnisse.
Die Nähe, die Rechts-Konservative mit Rechts-Populisten haben, und wie zwischen diesen Fraktionen eine gegenseitige Befeuerung stattfindet, sieht sie als selbst Konservative nicht.
Wenn einige meiner besten Freunde, denen ich auch politisch nah bin, plötzlich nur noch von antisemitischen Verschwörungstheorien faseln, würde es mir zumindest auch einiges zum Denken über meine politischen Ansichten geben.
Trotzdem sind in diesem Buch auch lesenswerte Ansätze.
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