Abbe, 62 Jahre alt, erfolgreicher Frankfurter Geschäftsmann und Kosmopolit, empfindet sich selbst als Deutscher. Seine iranischen Wurzeln sind verschüttet. Als ihn eines Tages ein entfernter Verwandter, soeben aus dem Iran eingetroffen, aufsucht, gerät sein Leben durcheinander. Der Besucher ist undurchschaubar, verwickelt sich in Widersprüche und stolpert von einer Notlage zur nächsten. Bald kreist Abbes Leben nur noch um die Probleme des Verwandten. Erst nach und nach erschließt sich ihm die wahre Geschichte des jungen Mannes, und er beginnt ihn und sich selbst mit anderen Augen zu sehen.
In Djafaris 3. Roman kehren wir zurück in die Familie Hamidzadeh. Abbe, der älteste Sohn, ist ein erfolgreicher Frankfurter Unternehmer, der auf internationaler Bühne in der Entwicklungshilfe agiert. Die wenige Zeit, die ihm bleibt, verbringt er mit seiner Frau Maria oder bei seinem dementen Vater im Seniorenheim – er scheint seine einzige und letzte Verbindung zu seinen persischen Wurzeln zu sein. Bis sein Großcousin Reza aus dem Iran vor der Tür steht, der in Deutschland Fuß fassen will. Zunächst scheint er weniger Hilfe zu brauchen, als Abbe vermutet hatte. Doch dann taucht Reza immer wieder auf, bitte ihn um Geld, weil er in Schwierigkeiten steckt, will aber nie so recht mit der Sprache rausrücken. Abbe, der es gewohnt ist, Probleme effizient zu lösen, verzweifelt fast an Rezas Undurchsichtigkeit und erfährt nur häppchenweise von dessen wirklichen Beweggründen, sein Heimatland zu verlassen. Abbes firmeninterne Probleme werden zweitrangig, als ihm klar wird, wie wenig er eigentlich von den Schwierigkeiten seines ihm fremdgewordenen Herkunftslandes weiß. Und schon gar nichts von den prekären Lebensumständen der jungen Generation.
Es ist das Jahr 2015, die brisante Flüchtlingspolitik ist allgegenwärtig, aber die Geschichte selbst spielt sich im alltäglichen Miteinander ab. Es sind die zwischenmenschlichen Momente, die Djafari mit zärtlichen, feinen Linien zu zeichnen weiß. Abbe, der eigentlich in »typisch deutscher Manier« agiert, ja den sogar die umständlichen persischen Höflichkeitsfloskeln eher verärgern, weil er lieber schnell auf den Punkt kommen will. Doch Abbe lässt nicht locker und allmählich versteht er, dass der heutige Iran gerade für junge Leute eine Vielzahl von Problemen bereithält, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die permanente Überwachung durch das Mullah-Regime, das nicht Halt davor macht, das Liebesleben Unverheirateter zu auszuspionieren.
In Djafaris Geschichte prallen Kulturen aufeinander, Korruption in den Entwicklungsländern, Alltags- und Zukunftsprobleme im Iran, die Flüchtlingskrise in Deutschland und mittendrin zwei Menschen, die sich verständigen müssen – der eine hat seine Wurzeln verloren, der andere versucht, Wurzeln zu schlagen. Ein interessanter, spannender, wendungsreicher Roman, den Djafari in gewohnt leisen Tönen erzählt.
Allerdings bleibt er für mich hinter seinem Vorgänger »Mahtab« zurück. Die eigentliche Geschichte um Reza setzt erst sehr spät ein, so dass ich lange nicht wusste, wo das Buch eigentlich hin will. Im Erzählstrang um Abbes Entwicklungsarbeit werden einige Handlungsstränge aufgemacht, die Spannung versprechen, am Ende teilweise ungelöst bleiben oder mit nur wenigen Sätzen abgetan werden. Auch bleiben mir die Charaktere diesmal unnahbar, einige etwas hölzernen Aktionen wirkten auf mich konstruiert und unglaubwürdig. Leider gar nicht überzeugt hat mich auch das übereilte, zu kurze Ende. Schade, ich hatte mir nach »Mahtab« sehr viel von dem Buch versprochen, das leider nur zum Teil erfüllt wurde. Aber bei aller Kritik bleibt es ein lesenswertes, hochaktuelles Buch, das Verständnis weckt für das Miteinander verschiedener Kulturkreise.
Abbas lebt mit seiner Ehefrau Maria in Frankfurt. Er ist ein überaus erfolgreicher Unternehmer mit internationalen Auftraggebern. Seine Eltern kamen einst aus dem Iran nach Deutschland, die Kinder nach deutschen Maßstäben erzogen; persisch spricht Abbas mehr schlecht als recht. Als sein Cousin aus dem Iran ihn bittet, sich um dessen 30-jährigen Sohn zu kümmern, der demnächst nach Deutschland kommen wird, geht dies zunächst im allgemeinen Business-Trubel unter – bis Reza nur wenige Tage später vor der Tür steht. Ohne Job, ohne Deutschkenntnisse und mit der Bitte um Unterstützung.
Während Abbas nun in „typisch deutscher Manier“ Ergebnisse von dem jungen Mann als Gegenleistung zu seiner (monetären) Unterstützung fordert – Deutschkurs, Job, Behördengänge – beantwortet Reza diese Forderungen auf seine Art, bleibt unverbindlich und wage. Schnell vermutet Abbas, dass der junge Mann nicht ganz ehrlich zu ihm ist, dass es unausgesprochene Geheimnisse gibt.
Nassir Djafari hat einen tragischen Lebens(ver)lauf in eine wunderbare Geschichte von Familie, (kultureller) Herkunft und Zusammenhalt verpackt. Sein Schreibstil ist durchaus rasant, was aber auch zur Thematik passt. Und dennoch ist jede einzelne Figur fein und detailliert gezeichnet. Die politische und gesellschaftliche Lage im Iran, Unterdrückung, Terror und Überwachung ist ebenso wie Rezas angespannte Situation ein Teil der Geschichte, dominiert sie aber nicht. Vielmehr kommen gerade die zwischenmenschlichen Momente und Begegnungen zum Tragen, stille Augenblicke mit dem Vater, Gespräche im persischen Laden. Und so ist dieses Buch für mich persönlich in erster Linie ein Roman über Familienbande und die Wurzeln, die uns als Menschen prägen.
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