Philip Carey ist voller Neugier auf die Liebe, das Leben und die Abenteuer, die es bereithält. In London, Heidelberg und Paris, über Umwege und Sackgassen, zwischen Bohème und Bürgertum, zwischen Liebesqual und Überdruss entdeckt der junge Mann, wer er ist und wer er sein will.
Maughams großes autobiografisches Werk strotzt nur so vor Selbsterkenntnis, elementaren Lebensfragen und wegweisenden Entscheidungen. Brillanter Bildungsroman, vielschichtig, toll!
„Das Fragmentarische als Wahrheit, das Scheitern als Reifung.“
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
W. Somerset Maughams „Of Human Bondage“, im Deutschen unter dem Titel „Der Menschen Hörigkeit“ bekannt, erhebt sich wie ein stilles literarisches Monument aus der Landschaft der modernen Romankunst – ein Werk von seltener geistiger Wucht und melancholischer Anmut, das den Leser nicht nur in seinen Bann zieht, sondern ihn in den tiefsten Regionen seines Daseins berührt. Es ist ein Roman, der nicht bloß rezipiert, sondern existenziell durchschritten werden will – ein Werk, das weniger gelesen als im Innersten mitempfunden, erlitten und am eigenen Dasein geprüft wird. Ein zeitloses Meisterwerk wahrlich. Maugham entwirft darin keine einfache Geschichte des Erwachsenwerdens, sondern eine Seelenkartographie, in der das Individuum in all seiner Zerbrechlichkeit, seinem Aufbegehren und seiner Sehnsucht nach Sinn aufscheint. Mit dem feinen Instrumentarium eines wahren Menschenkenners und der poetischen Kraft eines großen Stilisten gestaltet er den inneren Weg seines Protagonisten Philip Carey – einen Weg, der nicht auf Erleuchtung, sondern auf ein stilles Verstehen des Unverstehbaren zielt.
Philips Entwicklung von einem sensiblen, durch seine körperliche Behinderung gezeichneten Kind zu einem suchenden, irrenden, scheiternden und doch wachstumsfähigen Erwachsenen ist von Maugham mit einer bemerkenswerten psychologischen Präzision und erzählerischen Feinnervigkeit nachgezeichnet. Die große Kunst des Autors liegt darin, dass er auf melodramatische Zuspitzungen verzichtet und stattdessen in der unaufgeregten, beinahe dokumentarischen Darstellung des Alltäglichen jene seelischen Abgründe sichtbar macht, die den eigentlichen Stoff der Tragödie bilden. Gerade durch diese Zurückhaltung gelingt es ihm, das tiefe existenzielle Leid seines Protagonisten auf eine Weise zu vermitteln, die berührt, ohne zu sentimentalisieren, und die den Leser zwingt, sich seinen eigenen Illusionen, Ängsten und Abhängigkeiten zu stellen. Es ist diese radikale Ehrlichkeit, diese kompromisslose Darstellung des Lebens als einen fortwährenden Zustand des Mangels, der Suche und der Ungewissheit, welche das Werk so außergewöhnlich macht.
Die thematische Klammer des Romans, die „Hörigkeit“ – ein Begriff, der zugleich Sklaverei, Abhängigkeit, Hingabe und Ohnmacht impliziert – entfaltet sich nicht allein in der unglücklichen Liebesbeziehung zwischen Philip und Mildred, die zu einem der eindrücklichsten literarischen Beispiele pathologischer Verstrickung gehört, sondern auch in subtileren Formen: in der Abhängigkeit von äußeren Idealen, vom Streben nach Zugehörigkeit, von sozialen Erwartungen, von der Religion, vom Kunstverständnis, letztlich von jeglichem Versuch, dem Leben eine zwingende Bedeutung aufzupfropfen. Philip wird auf seiner Reise mit immer neuen Formen der Knechtschaft konfrontiert, jede zunächst als Verheißung von Freiheit oder Erfüllung getarnt – das Christentum seiner Jugend, der Traum von der Kunst in Paris, die medizinische Karriere in London, die Liebe zu Mildred –, nur um sich schließlich als Trugbild herauszustellen. Und doch liegt in dieser fortwährenden Ent-Täuschung gerade die Möglichkeit zur Reifung: nicht durch Erfüllung, sondern durch das Anerkennen der Leere, durch die Kapitulation vor dem Unerklärbaren des Lebens, gelangt Philip zu einer Haltung, die man als eine stille, stoische Akzeptanz bezeichnen könnte.
Maughams Stil ist dabei von einer bestechenden Klarheit und Eleganz. Seine Sprache ist niemals ornamental um ihrer selbst willen, sondern stets der Innerlichkeit der Figuren, der Glaubwürdigkeit der Darstellung und der psychologischen Tiefe verpflichtet. Es ist eine Prosa, die durch Schlichtheit glänzt, durch ihre rhythmische Balance, ihre Beobachtungsschärfe und ihre ruhige Autorität. Dennoch blitzen immer wieder Momente poetischer Erhebung auf, gleichsam wie Lichtstrahlen durch ein trübes Fenster: eine Landschaftsbeschreibung, eine beiläufige Charakterzeichnung, eine introspektive Reflexion – all dies ist getragen von einer feinen Musikalität und einem tiefen Mitgefühl für das Menschliche, das Gebrochene, das Unvollkommene.
Besonders hervorzuheben ist Maughams Umgang mit dem Motiv der Kunst, das im Roman nicht nur als äußeres Thema verhandelt wird, sondern als Spiegel der existenziellen Frage nach Sinn und Ausdruck. Philips Scheitern als Maler ist nicht bloß ein biografisches Detail, sondern symbolisiert das Scheitern aller Versuche, dem Leben eine eindeutige Form zu geben. Die Kunst, so scheint der Roman zu sagen, vermag zwar das Chaos zu ordnen, aber nicht zu überwinden; sie ist ein Trost, aber keine Lösung. Diese Einsicht mündet in ein existenzielles Paradoxon: Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt, doch er sehnt sich nach Bindung; er sucht nach Wahrheit, doch findet nur Perspektiven. Gerade diese dialektische Struktur – das Nebeneinander von Streben und Scheitern, von Hoffnung und Enttäuschung – verleiht dem Roman seine philosophische Tiefe.
Ein weiterer Aspekt, der „Der Menschen Hörigkeit“ zu einem Meisterwerk macht, ist die Gestaltung der Nebenfiguren, die nicht bloß als Staffage für Philips Entwicklung dienen, sondern selbst von einer bemerkenswerten Lebendigkeit und psychologischen Komplexität sind. Ob es sich um die kalte, egozentrische Mildred handelt, um den idealistischen, später resignierenden Cronshaw, um die warmherzige Sally oder den pragmatischen Dr. South – sie alle verkörpern unterschiedliche mögliche Haltungen zum Leben, verschiedene Grade der Anpassung, Rebellion oder Resignation. Diese Vielstimmigkeit verleiht dem Roman eine polyphone Struktur, in der nicht eine Wahrheit dominiert, sondern das Fragliche, das Ungewisse, das Unabgeschlossene den Ton angibt. Besonders berührend ist dabei, wie Maugham die Brüchigkeit der menschlichen Existenz mit einer Haltung der Sanftmut und des Verstehens begegnet. Sein Urteil über die Schwächen seiner Figuren ist niemals verächtlich oder zynisch, sondern getragen von einem tiefen Wissen um die Tragik des Menschseins. Gerade darin unterscheidet sich Maugham von vielen seiner Zeitgenossen – seine Ironie ist nicht verletzend, sondern heilend, sein Realismus ist nicht trostlos, sondern befreiend. Der Roman ist durchzogen von einer leisen Melancholie, aber auch von einem zarten, fast unmerklichen Hoffnungsschimmer: dass das Leben, so sinnlos es erscheinen mag, dennoch gelebt werden kann – und vielleicht gerade darin seinen Sinn findet.
Am Ende steht keine kathartische Auflösung, kein triumphaler Durchbruch, sondern ein Innehalten, ein stilles Anerkennen der Begrenztheit des eigenen Daseins. Philip findet keine endgültige Wahrheit, aber er findet einen Weg, mit der Abwesenheit von Gewissheit zu leben. Diese Schlusswendung, die so unspektakulär wie tiefgreifend ist, gehört zu den stärksten Momenten des Romans und verleiht ihm eine philosophische Reife, die über das Persönliche hinausweist.
Es ist daher nicht übertrieben, „Der Menschen Hörigkeit“ als ein literarisches Monument der Selbstbefragung zu bezeichnen – ein Werk, das in seiner introspektiven Tiefe an Dostojewski erinnert, in seiner erzählerischen Klarheit an Flaubert, und in seiner melancholischen Weisheit an Thomas Hardy. Maugham gelingt es, das Ringen des modernen Menschen mit seiner Freiheit, seiner Einsamkeit und seinem Verlangen in einer Sprache zu fassen, die zugleich analytisch und poetisch, schonungslos und zärtlich, nüchtern und ergriffen ist. Dass ein solches Buch auch heute – mehr als ein Jahrhundert nach seiner Entstehung – noch seine volle Wirkung entfaltet, spricht für seine zeitlose Relevanz. In einer Welt, die von der Illusion des Machbaren, der Selbstoptimierung und des permanenten Fortschritts beherrscht wird, hält Maugham uns einen Spiegel vor, in dem wir die Wahrheit unserer Unvollkommenheit erkennen dürfen – und vielleicht auch den Trost, der in dieser Erkenntnis liegt.
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