Gottfried Keller veröffentlichte sein Kunstmärchen "Spiegel, das Kätzchen" erstmals innerhalb seines Novellenzyklus´ "Die Leute von Seldwyla" (1856 - 1874).
Wie in vielen typischen Märchen ist die Hauptfigur ein sprechendes Tier, genauer gesagt ein Kater namens Spiegel. Während ich im realen Leben Anthropomorphismus von Tieren sehr kritisch sehe, ist es in der Literatur ein legitimes Stilmittel. Und Keller versteht es ganz geschickt, seinem vierbeinigen Protagonisten nur gerade so viel menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, wie es die Geschichte erfordert, und Spiegel dennoch zahlreiche für Katzen typische Eigenschaften und Verhaltensweisen zu lassen.
Die Geschichte erinnert an einige Märchen der Gebrüder Grimm, etwa "Hänsel und Gretel" oder "Der gestiefelte Kater", aber auch Anklänge an die Erzählungen aus "Tausendundeine Nacht" sind zu finden.
Sprachlich war der Text für mich zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, aber da nicht allzu viele heutzutage nicht mehr gebräuchliche Wörter verwendet werden, kann man diese gut nachschlagen, ohne sehr aus dem Lesefluss zu kommen. Die Erzählung ist in eine Rahmenhandlung und eine Binnengeschichte unterteilt. An manchen Stellen wird die Handlung so schräg, dass es mir selbst für ein Märchen zu übertrieben erschien, aber vielleicht wollte Keller hier seine abergläubischen Zeitgenoss*innen einfach etwas veralbern. Gut gelungen ist die Darstellung, wie sich der Charakter eines Tieres wie eines Menschen durch die Lebensumstände ändern kann.
Mit genauer Kenntnis der Biografie Kellers sind noch tiefergehende Deutungen des Märchens möglich, auf die ich jedoch an dieser Stelle nicht eingehen möchte.
Spiegel ist ein Kater, der bei einer ältlichen Frau lebt. Sie gibt so gut auf ihn acht, sein Fell ist so seidig wie es einer Katze wie ihm geziemt. Innig kümmert sich die alte Dame um ihn, und als Dank kümmert er sich um die Mäuse des Anwesens. Als die Dame verstirbt, kommen die Erben Erben und verkaufen das Haus. Den armen Spiegel setzen sie vor die Tür. Der Kater ist darauf angewiesen sich selbst zu versorgen, was ihm mehr schlecht als recht gelingt. Er findet nur spärlich Essen und magert zunehmend ab.
Da läuft ihm der Stadthexenmeister Pineiß über den Weg, der die Gelegenheit ergreifen will und dem Kater ein Geschäft anbietet, von dem nur er selbst profitiert. Pineiß will den Kater mit allerhand Leckereien füttern, um ihm beim nächsten Vollmond den Schmer des dann hoffentlich dicken Katers abzunehmen. Der geschwächte Spiegel willigt ein und unterzeichnet den Vertrag. Die Leckereien von sahniger Milch bis zu gebratenem Geflügel bekommt er. Mit der Lebenskraft kommen auch Spiegels Sinne wieder und er muss sich eingestehen, dass es kein gutes Geschäft ist, wenn er mit der Abnahme des Schmers auch sein Leben verliert, denn das ist, was ihm passieren wird. Von nun an mäßigt er seine unersättliche Gier beim Essen, um nicht so dick zu werden, dass ihn der Hexenmeister töten würde. Dieser bemerkt Spiegels Vorhaben, und weil er sich betrogen fühlt, sperrt er die Katze in einen Käfig, um sie zu mästen. In seiner Gefangenschaft erzählt der Kater Herrn Pineiß die Geschichte von einem Schatz, den seine alte Besitzerin in einem Brunnen versteckt hat und mit einer List gelingt es dem Kater aus seinem Vertrag herauszukommen.
Auf das Buch bin ich gestoßen, als ich eine Vorschau der Insel-Bücherei durchgeblättert habe, und mittlerweile ergibt es sich, dass ich immer, wenn ich Bilder von Joelle Tourlonias sehe, mitten in der Bewegung innehalte, um zu schauen. Die Illustrationen haben mich dazu veranlasst diesen Klassiker für mich zu entdecken.
Früher in der Schule wurde uns noch dier Lektüre von Keller`s "Die Leute von Seldwyla" oder "Romeo und Julia auf dem Dorfe" verabreicht :-).
Nun gibt es auch das Tiermärchen "Spiegel, das Kätzchen", das ebenfalls in Seldwyla beheimatet ist.
Die hübsche Geschenk-Ausgabe vom Reclam Verlag wurde von Joelle Tourlonias verspielt und liebenswert bebildert.Vom schwarzen Einband mit Kätzchen über die vielen sanftfarbenen Zeichnungen, lässt sie den Betrachter gut in die Geschichte eintauchen.
Mein einziger Kritikpunkt: das Katerchen selbst sieht im Buch die meiste Zeit relativ knuddelig (wie ein Jungtier) aus, dabei ist er schon einige Jahre alt, als seine alte Besitzerin verstirbt und er ein hartes Leben ohne Zuhause kennenlernt.
Wie der kluge "Spiegel" dann doch noch Glück hat und einen Hexenmeister zum Narren hält, sollten Sie aber ruhig mal selber lesen ... ein kurzweiliger Klassiker.
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