Eine Liebesgeschichte, so schön, so verwegen, wie nur Christine Wunnicke sie schreibt. Schauplatz ist Frankreich im 18. Jahrhundert, das vorrevolutionäre und das überaus revolutionäre. Und es lieben sich zwei Frauen, die verschiedener nicht sein könnten: Marie Biheron, die schon im zarten Alter Leichen seziert, um deren Innenleben aus Wachs zu modellieren; und Madeleine Basseporte, die zeichnend die Anatomie von Blumen aufs Papier zaubert, weil Menschen einen ja doch nur von der Arbeit abhalten und meist keine Ahnung haben. Männer kommen auch vor, in schönen Nebenrollen – ein nervöser Bestseller-Autor, ein junger Nichtsnutz und Diderot, der Kaffee trinkt und viel redet. Ein hinreißender Liebesroman, der hin und her schwingt zwischen der Zeit, als Küchenschellen friedlich am Wegesrand wachsen, und jenen Schreckenstagen, als nicht allein der Königin wie einer schönen Blume der Kopf abgeschlagen wurde.
Nicht nur die Protagonistinnen sondern auch den Erzählstil des Buches fand ich besonders. Die Sprache ist feinfühlig und der beschriebenen Zeit perfekt angepasst und ich habe den Roman größtenteils genießen können.
Die Erzählung ist auf mehreren Zeitebenen spannend und klug verwoben. Besonders beeindruckt hat mich, wie subtil die Autorin historische Fakten einfließen lässt. Sie erklärt nicht, sie nennt die historischen Ereignisse kaum beim Namen. Stattdessen schafft sie Stimmungen, fängt Alltagsmomente ein, aus denen sich das große Ganze von selbst ergibt. Man muss allerdings mitdenken und sollte ein wenig historisches Wissen mitbringen. Vieles kann man sich dann selbst zusammenreimen, wie dass mit dem „tödlichen Cembalo“ die Guillotine gemeint ist und man sich wohl gerade mitten in der Zeit der Französischen Revolution befindet.
Ausserdem weist sie immer wieder auf die Benachteiligung von Frauen hin. Die Tatsache, dass sie nicht einmal ihren eigenen Namen unter ihre Werke setzen durften, spricht Bände. Die beiden Frauen, um die es hier geht, haben tatsächlich gelebt. Die Autorin verwebt Überliefertes mit Fiktion und erschafft eine Atmosphäre, die mir sehr gut gefallen hat. Nur die Liebesgeschichte hätte für meinen Geschmack etwas stärker ausgearbeitet sein können, aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen.
Das Buch bleibt mir als ein bildhaftes und unglaublich atmosphärisches Leseerlebnis in Erinnerung, auch wenn der Aufbau für mich ungewöhnlich war. Wer in die Zeit eintauchen möchte, ist hier richtig.
Paris im 18. Jahrhundert vor und während der Revolution in grellen Augenblicken und auf farbigen Streifzügen. Filigrane Pflanzen-Ansichten. Anatomische Eingriffe. Eine innige Liebesgeschichte zwischen zwei außerordentlichen Frauen, die sich durchsetzen konnten. Die Figuren sind historisch verbürgt. Die Liebe und die ganze Welt darum herum hat Christine Wunnicke meisterhaft erfunden.
Elegant und mit feinem Humor erzählt. Knapp. Karg. Fremd. Faszinierend.
Es begegnen sich in Wunnickes kurzem Roman: Madeleine Basseporte, Zeichnerin und Malerin, berühmt für ihre Pflanzendarstellungen, und Marie Biheron, deren außergewöhnliche anatomische Wachsmodelle sogar in den Vitrinen von Marie Antoinette ausgestellt wurden.
Die fünfzehnjährige Apothekerstochter Marie wird von ihrer Mutter in den Zeichenunterricht von Madeleine geschickt, zum Bordürenmalen. Sie soll etwas lernen, womit man auch Geld verdienen kann, meint die Mutter. Denn mit Leichenaufschneiden und -sezieren (Maries Leidenschaft) könne man sich nicht durchs Leben bringen. Die junge Marie fühlt sich zu der viel älteren Madeleine hingezogen und verliebt sich in sie. Madeleine sträubt sich zunächst gegen ihre Gefühle für das Mädchen. Nach einer vorösterlichen Zeremonie in Notre Dame, in der das Fastentuch fällt und die ganze goldene Pracht des Altarraums sichtbar wird, wehrt sich Madeleine nicht mehr gegen Marie. Eine Art Erweckungserlebnis. Die beiden Frauen werden ein Paar und bleiben es bis zum Tod.
Madeleine steigt zur Hauptzeichnerin im Naturhistorischen Kabinett des Jardin du Roi auf. Irgendwann erlaubt man ihr gnädigerweise sogar, ihre eigenen Werke zu signieren. Sie verdient Geld (die Hälfte ihres Vorgängers), unterrichtet am Hof, schreibt bittere Briefe über all die Ungerechtigkeit an Linné und verbrennt sie sofort. „Sie fühlte sich wie die Königstochter im Märchen, die ihre Sorgen ins Ofenrohr schreibt.“ Marie hat zunächst weniger Erfolg: „Zehn Jahre lang war sie fleißig gewesen, hatte sich winters über Leichen, sommers über Bücher gebeugt und war nun der beste Anatom von Paris[;] doch kein Beruf war ihr daraus erwachsen.“
Neben diesen beiden Hauptfiguren ist noch Platz für ganz Paris. Schuster und Musikanten, Händler und Prostituierte. Revolutionäre mit und ohne Kopf und allerlei Getier. Gezeichnet mit allen Sinnen. Ein böser satirischer Blick fällt auch auf Denis Diderot und auf den Erfolgsschriftsteller Jacques-Henri Bernardin de Saint-Pierre, dessen Roman „Paul und Virginie“ Marie wegen dessen lächerlicher Frauendarstellung verabscheut.
185 Seiten zum Lesen und Staunen.
Zwischen Tugendzertifikaten und Affenbildern begleiten wir zwei außergewöhnliche Frauen im vorrevolutionären Paris, begegnen Größen wie Diderot und Marquise de Pompadour und sind bei den ersten Schritten der Emanzipation dabei.
Was Christine Wunnicke hier geschaffen hat ist einfach nur phantastisch!
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Feministischer Roman über queere Liebe, Körper und Wissenschaft
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Christine Wunnicke zählt zweifelsohne zu den wichtigsten Vertreter*innen der deutschen Gegenwartsliteratur. In ihren historischen Romanen und Novellen erzählt sie nicht nur von der Differenz der Kulturen und davon, wie Sprache sich immer wieder selbst verfehlt, sondern auch von queerer Liebe. Mehrfach wurden Wunnickes Texte schon für den Deutschen Buchpreis nominiert, und doch ist die Autorin dem breiteren Publikum wenig bekannt. Das mag daran liegen, dass sie zum einen den großen Auftritt im oftmals exaltierten Literaturbetrieb scheut. Zum anderen erscheinen ihre Werke bei Berenberg, einem unabhängigen Verlag, der sich auf literarische Preziosen versteht, dabei aber nicht die Reichweite der großen Verlagskonzerne hat.
Auch »Wachs«, der neueste Roman Wunnickes, hat mit dem Kontext der Französischen Revolution ein historisches Setting: Auf zwei Zeitebenen wird hier von Marie Biheron und Madeleine Basseporte erzählt, zwei real verbürgten Frauen, die die Autorin kurzerhand zu einem Liebespaar macht. Während Basseporte vornehmlich Pflanzen und Blumen als Zeichnerin festhält und katalogisiert, ist Biheron als Anatomin eine wissenschaftliche Pionierin, die schon als Zwölfjährige mit großem Wissensdrang Leichen seziert und sie später als Wachsmodelle präpariert. Dem titelgebenden Arbeitsmaterial Wachs kommt hierbei eine metaphorische Bedeutung zu: »Dann sagte sie: ›Wachs.‹ Es kam in demselben kargen Ton heraus wie zuvor das Wort ›Frauen‹. [Es] umfasst, dachte Madeleine, mit einem Wort alles, was Wachs ist. Das Formbare, Schmiegsame, Weiche von Wachs. Das harmlos Alltägliche. Das Heikle: Wie entflammbar es ist.«
Christine Wunnicke ist mit »Wachs« ein großartiger feministischer Kurzroman gelungen, der gleichsam eine Geschichte des Körpers sowie physischer Manifestation ist und dabei von einer tabuisierten Liebe erzählt. Große Literatur auf kleinem Raum!
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