Mit Anfang dreißig spült das Leben Amy Liptrot zurück an den Ort ihrer Kindheit – die Orkneyinseln, im dünn besiedelten Schottland wohl die abgelegenste Region. Hier schwimmt die britische Journalistin morgens im eiskalten Meer, verbringt ihre Tage als Vogelwärterin auf den Spuren von Orkneys Flora und Fauna und ihre Nächte auf der Suche nach den »Merry Dancers«, den Nordlichtern, die irgendwo im Dunkeln strahlen. Und hier beginnt sie nach zehn Jahren Alkoholsucht wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt Amy Liptrot von ihrer Kindheit, ihrem Aufbruch in die Stadt, nach Edinburgh, weiter nach London. Vom wilden Leben, dem Alkohol, dem Absturz. Vom Entzug und der Rückkehr zu ihren Wurzeln auf Orkney, wo sie der Natur und sich selbst mit neuen Augen begegnet.
Ich habe zuvor den Film zu dem Buch gesehen „The Outrun“. Schon lange hat mich ein Film nicht mehr so berührt und umso mehr habe ich mich gefreut, die ganze Geschichte zu lesen.
Das Buch ist so toll geschrieben. Voller Leidenschaft und Hingabe. Ihre Ehrlichkeit war sehr erfrischend und ihr Mut inspirierend. Generell gefiel mir die Geschichte über eine "Einzelgängerin", die sich durchbeißt und wieder zurück ins Leben findet.
Das Ganze wird getoppt durch ihr Interesse für die Natur und die Wissenschaft im allgemeinen. Es war so schön zu lesen wie sehr sie in die Orkney Inseln vernarrt ist. Dazu kann ich nur empfehlen den Film zu schauen, denn es ist wirklich beeindruckend.
Einmal Orkneys und zurück. Besagte Eilande befinden sich im äußersten Nordosten Schottlands. Oft lieben die Einheimischen ihre Inseln, was im sich von der schottischen Sprache unterscheidenden orkadischen Dialekt oder dem eigentümlichen Brauchtum zum Ausdruck kommt. Kauzig und hilfsbereit sind sie, die Orkadier. Und eigentlich sehen sie sich eher Skandinavien zugehörig. Es sind die wildromantische Landschaft, die stürmisch-schroffe Natur, das Klima und das Wetter, die den Menschen prägen: „Die über das Meer transportierte Energie der Wellen verwandelt sich in Lärm, Hitze und Erschütterungen, die vom Land aufgenommen und über Generationen weitergegeben werden“, berichtet Amy Liptrot über ihre Heimat. So gerne Touristen eben wegen der schönen Natur und der Ursprünglichkeit der Orkneys zu Besuch kommen, so gerne verlassen die Jüngeren, die dort geboren und aufgewachsen sind die Inseln, um der Eintönigkeit und Perspektivlosigkeit des dortigen Lebens zu entfliehen. Auch Amy Liptrot war eine Jugendliche, die etwas erleben wollte und beabsichtigte, aus ihrem Leben etwas zu machen. Die schwierigen familiären Verhältnisse erleichterten es ihr, die Orkneys zu verlassen, waren doch der Vater psychisch erkrankt und die Mutter zu einer religiösen Fanatikerin mutiert. Also brach die Schottin nach London auf, um dort zu studieren. „Mit achtzehn hatte ich es nicht erwarten können fortzugehen. Ich fand das Leben auf dem Bauernhof schmutzig, hart und schlecht bezahlt. Ich wollte Komfort, Glamour und dort sein, wo etwas los war“, schreibt Amy Liptrop und als sie schließlich in London angekommen war, stellt sie fest: „In meiner Studentenbude dagegen übertrug ich im Geiste unsere sechzig Hektar Land auf die Innenstadt. Abertausende Menschen auf einer Fläche, auf der es nur meine Familie und die Tiere gab.“ Nach der Heimat, vor der sie flüchtete, bekommt sie zusehends Sehnsucht, denn wenn sie „in windigen Nächten im Bett lag, gab mir das Geräusch das Gefühl, wieder in unserem steinernen Bauernhaus zu sein.“ Sie sagt: „Diese Mischung aus Zuneigung und Ablehnung kennen viele junge Leute von den Inseln. Wir landeten immer wieder hier, wurden ebenso unvermeidlich wieder angespült wie die Flut. Ich wuchs inmitten des Himmels auf, mit einem gewaltigen Raumgefühl und doch eingeengt von den Grenzen der Insel und des Bauernhofs.“ In London kommt Amy Liptrot nicht klar. Sie hangelt sich von einem Job zum nächsten, bekommt ihr Studium nicht auf die Reihe und scheitert in Beziehungsdingen. Sie verfällt zusehends dem Alkohol. Ihre Abstürze werden zunehmend krasser, so dass sich immer mehr Freunde von ihr abwenden und sie deshalb oft Jobs verliert oder aus diversen WGs geschmissen wird. Sie leistet sich Aussetzer und Wutausbrüche. Mehrmalige Entzugsversuche scheitern. Ein Jahrzehnt später ist sie ein Wrack. Mit knapp dreißig wird ihr bewusst, dass sie trocken werden muss, um im Leben überhaupt noch eine Chance zu bekommen. Und tatsächlich: Sie schafft es, eben weil sie in ihre Heimat zurückkehrt und die Natur eine therapeutische Wirkung auf sie hat. Aber: Das Verlangen nach der Droge ist stets da: „Wenn ich einen guten Song höre oder die Sonne herauskommt, wenn ich wütend werde oder jemanden anrufen möchte, um ihm etwas Nettes zu sagen. Alkohol ist mit fast allen Bereichen meines Lebens verwoben.“ Um weiterhin abstinent bleiben zu können, entwickelt sie ihre Coping-Strategien: Wann immer sie kann, geht sie bei jedem Wetter wandern, beobachtet Wildtiere, schwimmt (auch im Winter), beobachtet Sterne und setzt sich ganz generell der schroffen und stürmischen Natur der Orkneys aus. Das heilt, beruhigt, lenkt ab und erdet. Es füllt die Leere, von der die Autorin immer wieder spricht. Aber auch die neuen Beschäftigungen bergen eine gewisse Gefahr in sich: die sogenannte Cross-Addiction, was eine Übertragung des Suchtverhaltens in Ermangelung von Alkohol auf einen anderen Bereich bedeutet. „Bei mir sind es Coca-Cola, Rauchen, Beziehungen und das Internet“, offenbart Amy Liptrot, die weiter ausführt: „Ich will das Richtige finden, mit dem ich dieses Loch füllen kann, doch es entzieht sich mir immer wieder, bleibt stets am Rand meines Bewusstseins, im äußersten Augenwinkel, es ist das, was man gerade aufheben wollte, bis einem einfällt, dass man vergessen hat, was es war – die Insel knapp jenseits des Horizonts.“ Ob sie die besagte Leere ergründen wird, darf beim Lesen selbst erfahren werden. Durch ihre harmonische, prosaische Sprache lässt Amy Liptrot den Puls des Lebens erfühlen. Sie hat eine gottgegebene Begabung dafür, in einfachen Worten Flora und Fauna lebensecht zu beschreiben. Gleichzeitig spiegeln sich hierin ihre seelischen Befindlichkeiten. Auch erfährt man allerlei Historisches, Geologisches oder Mythologisches über die Orkneys, nimmt am sozialen Leben der Inselbewohner teil und kennt irgendwann sämtliche der hiesigen Tierarten. Last but not least ist Amy Liptrot für ihre schonungslose Ehrlichkeit zu bewundern, mit der sie ihre Sucht beschreibt. Das erfordert viel Mut und hebt die Distanz zwischen Leser und Autor auf.
Die beeindruckende Geschichte einer Frau, die um ihre Sucht zu überwinden, zum Ort ihrer Kindheit zurückkehrt. In der Abgeschiedenheit und Rauheit der Orkney-Inseln stellt sie sich ihrer Vergangenheit und sucht nach einer Zukunft.
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