Johan Harstads von der Presse gefeierter Roman endlich als Taschenbuch: Max Hansen wächst in Norwegen auf. Genauer: im Stavanger der 80er Jahre, wo die Väter für Monate auf Ölplattformen verschwinden, während die Kinder im Märchenwald Vietnamkrieg spielen. Ein Idyll – bis Max’ Familie in die USA emigriert.
Während der Vater nun von Long Island aus um die ganze Welt fliegt und so selten zu Hause ist, dass die Ehe der Eltern daran zu zerbrechen droht, rücken Max und seine ebenso einsame Mutter näher zusammen. Bis Mordecai kommt, der zunächst Max‘ bester Freund und später ein bekannter Schauspieler wird. Er macht ihn auch mit Mischa bekannt, einer sieben Jahre älteren bildenden Künstlerin. Max und Mischa verlieben sich ineinander. Sie ist es auch, die Max anstiftet, sich auf die Suche nach seinem geheimnisvollen Onkel zu machen, einem Vietnam-Kriegsveteranen, mit dem sein Vater vor langer Zeit gebrochen hat. Sie finden ihn im Apthorp-Building in Manhattan und ziehen schon bald bei ihm ein. Die unkonventionelle WG, in der man einander mit Großmut und Verständnis begegnet, wird zum Epizentrum des Lebens von Max, Mischa, Mordecai und Onkel Owen. Für einen Moment scheint es, als hätte Max ein Zuhause gefunden …
«Max, Mischa und die Tet-Offensive» ist ein weltumspannender Roman darüber, dass Heimat vor allem in uns ist und Familie eine Frage der Interpretation. Vor allem aber erzählt Johan Harstad eine Geschichte über Haltung, Aufrichtigkeit, Freundschaft und Mädchen, die der Schauspielerin Shelley Duvall ähneln – und wie sehr man sie lieben kann.
ein über 1200 Seiten langer großartiger Roman mit sperrigem Titel
Bewertung am 22.09.2024
Bewertungsnummer: 2298345
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Kürzlich habe ich „Max, Mischa & die Tet-Offensive“ zum zweiten Mal im Abstand von ein paar Jahren gelesen.
Ein Jahrzehnte umspannendes Werk, in inhaltlich verbundenen Kapiteln sehr unterschiedlicher Länge, in denen jeweils aus der Sicht einer Person erzählt wird – nur gelegentlich in Ich-Form. Der Roman beginnt mit den Kindheits- und Jugenderinnerungen von Max, in Norwegen in den 80er Jahren.
Diese Phase der Kindheit endet jäh mit dem Umzug der Familie in die USA, wo Max das altersentsprechende Trauma bei Verpflanzung in vulnerabler Lebensphase erlebt – großartig beschrieben. Eine weitere sich durch das Buch ziehende Geschichte ist die spätere Liebesbeziehung Max´ zu der bildenden Künstlerin Mischa. Deren in Aufsatzstil hingeschriebene Biographie, die sie ihrem Freund erzählt, ist eine etwas hölzerne Episode in diesem Roman. 0,5% der Gesamtseitenmenge, die verzeihe ich dem Autor gerne. Ist geschrieben, als hätte der Lektor kurz vor Drucklegung gesagt, dass da noch Hintergrundinfo rein muss, die wurde dann etwas inspirationslos dazwischengeklemmt. Wie gesagt, nur ein paar Seiten.
In den USA nimmt Max später Kontakt zu seinem der Familie entfremdeten Onkel Ove auf. Der hatte sich, um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erlangen, zur Armee gemeldet und in Vietnam gekämpft. Den Bogen dazu schlägt das Lieblings-Kriegsspiel von Max und seinen Freunden, die als Kinder in Norwegen Episoden aus „Apocalypse Now“ (Francis Ford Coppolas Film von 1979) nachspielen.
Das Apthorp-Building in New York, in dem Max, Ove, Mischa und zeitweise andere Personen über Jahre zusammenleben, hat einen eigenen Erzählstrang, und man liest von der Wirkung und vom Verfall dieses Gebäudes, das am Ende zum Spekulationsobjekt wird, wie von einer weiteren Lebensgeschichte.
Wie der damals noch sehr junge Autor das Lebensende von Owen beschreibt, mit Worten sparsam, einfühlend, fand ich besonders eindrucksvoll.
Es gibt in diesem großen Roman viele Einzelepisoden, an denen ich beim Lesen hängenblieb, die ich bemerkenswert, einprägsam und mit genau den richtigen Worten beschrieben fand. Dabei fand ich nichts vorhersehbar, konstruiert. Ich empfand die Handlung als spannend.
Neben weiteren Personenschicksalen und großen Ereignissen geht es um Filme, um Theater, wie man Theater macht, wie sich Theaterstücke entwickeln – gar nicht mein Thema, aber diese Dinge sind eingebettet in einen Roman, der stilistisch abwechslungsreich ist, als hätte der Autor ein wenig mit verschiedenen Genres gespielt und beim zweiten Lesen nach einigen Jahren habe ich auch diese Episoden zu schätzen gewusst.
Einiges ist ansatzweise schwärmerisch und teils etwas überausführlich beschrieben – so what, das Buch ist von einem jungen Mann verfasst.
Musik und wie man sich ihr beim Üben eines Instrumentes annähert, spielt auch eine große Rolle. Bildende Kunst, ihre Rezeption, ihre Ausdrucksmöglichkeit (wobei ich mir da nicht sicher bin, wie viel ironisch gemeint ist – dieser Interpretationsraum wird dem Leser gelassen).
Ich habe das besonders geschätzt bei der Lektüre: Nach-Denken zu können über das Geschriebene, weil es so viel Bedenkenswertes gab.
Überhaupt ist bemerkenswert und außergewöhnlich, zu wie vielen Themen Harstad sehr genau und akribisch recherchiert hat und wie unauffällig passend er das in seine Romanhandlung einwebt.
Auch die großen Katastrophen der USA (neben dem Vietnam-Krieg z.B. das Attentat auf die Twin Towers, Hurrikan Sandy) sind im Roman anhand von Alltagssituationen erzählt.
Immer wieder geht es auch um die Eltern von Max, ein norwegisches Paar, das sich in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts im Rahmen der Friedensbewegung kennenlernt und letztlich aus finanziellen Gründen sein Heimatland verlässt. Den weiteren Verlauf, realistisch, nie holzschnittartig, lese man im Roman.
Ich würde diesem Buch einen viel höheren Bekanntheitsgrad wünschen. Aber dafür ist es wahrscheinlich zu ambitioniert, zu umfangreich. Jetzt jüngere Leute würden es wahrscheinlich nicht mehr lesen wollen, es spielt schon in einer vergangenen Zeit. Und verlangt doch langen Atem und „Dranbleiben“, wobei es sehr gut lesbar ist. Mir hat es beim zweiten Lesen noch mehr gegeben als beim ersten Mal.
Der Plot:
Die Verquickung von Ereignissen, die nur die 68-Generation wirklich versteht (und ich glaube, für die wurde der Text geschrieben, denn die WhatsApp-Generation versteht wahrscheinlich nur Bahnhof), ist spannend. Die Hauptdarsteller von Jugend an bis ins fortgeschrittene Alter zu begleitet, ist ein guter ‚Backbone‘ für eine außergewöhnliche Geschichte, die auf die 60+ Generation zugeschnitten ist.
Keinesfalls langweilig, wenn es der Autor geschafft hätte, das Ganze auf max. 600 Seiten zu projizieren. Was mir der Johan allerdings vorgesetzt hat, hat er selbst in seinem Roman, langatmig, beschrieben: Er ist mit der tonnenschweren Teerwalze über den glühend heißen Asphalt gefahren, hat die kleinsten, unnötigsten Nebensächlichkeiten breitgewalzt, in Sätze gepresst, die nie zu enden scheinen, die aber zu guter Letzt dann doch gravierende Spuren hinterlassen, wenn der Bitumen, unter Druck verdichtet und abgekühlt ist.
Die Personen:
Ich bin weiter provokant: Wenn sich die Protagonisten nicht auf 1300 Seiten entwickeln würden, keine Metamorphosen über sich ergehen lassen würden, um schlussendlich, wie es Mayall so schön formulierte ‚Back to the roots‘, doch wieder ihren Wurzeln zuzustreben, dann wäre es traurig, sofern sie die Geschichte nicht schon (längst) vorher verlassen haben (Jim Morrisons ‚The End‘), auf welche Art auch immer. (8/10)
Die Sprache:
Wie bereits erwähnt, ich war und bin noch immer begeistert. Ich frage mich, wie das alles in Norwegisch wohl ankommt, bzw. klingt, oder noch besser: sich liest. Jedenfalls - Ein dickes Lob an die Übersetzer!
Mein Fazit:
Es ist eigentlich keine Familiengeschichte, es ist vielleicht ein Zeitroman, könnte durchaus ins Genre Entwicklungsroman fallen, oder ein Künstlerroman. Sicher kein Lieberoman, was nicht ganz stimmt.
Die aufgezeigten Parallelen (z.B.: Huey-Helikopter: Vietnam – New York) sind hervorragend umgesetzt.
Originalzitat aus der Tet-Offensive: „Es gibt keinen Stillstand. Nur zu viele Wörter!“
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