Ruth, alleinstehend, wohlhabend und nicht mehr jung, vertreibt sich ihre Zeit mit belanglosen Affären. Als einer ihrer Liebhaber sie für ein Wochenendseminar in die Schweiz einlädt, bei einem Glücks-Guru der fragwürdigeren Sorte, wecken die Berge in ihr eine Sehnsucht nach Erhabenheit, Herausforderung und Gefahr, und sie bricht zu einer langen Wanderung auf. Kathrin hingegen, kaum jünger als Ruth, Hausfrau und verheiratet, stürzt sich Hals über Kopf in die Heilslehren und Erfolgsversprechen dieser Seminare und beginnt eine unwahrscheinliche Karriere als Internet Influencerin. Simon, ihr siebzehnjähriger Sohn, der das wahre Leben außerhalb seiner Heimatstadt Hannover sucht, findet schließlich in der Julihitze bei den Hamburger G20-Krawallen den Ausnahmezustand, den er sich immer erhofft hat. Jero, der vierte im Bunde, ist Bergführerin der dramatisch schönen Bergwelt der Schweiz. Er führt fast beiläufig das intensive, erfüllte und gefährliche Leben, nach dem sich die anderen sehnen. Ruth wird ihn für eine herausfordernde Bergtour engagieren. In ihrem neuen Roman folgt Tina Uebel unerschrocken, witzig, sarkastisch, aber auch einfühlsam den Heldengeschichten dieser vier Protagonisten, die einem mit ihren Ängsten und Sehnsüchten schnell ans Herz wachsen. Ungeschoren bleibt hier niemand und nichts ist sicher.
Der Held – Figur der klassischen Sagen, der außergewöhnliche Leistung vollbringt und sich dadurch von seinen Mitmenschen abhebt. Herausragende körperliche Fähigkeiten, Mut oder Kampf für höhere Ideale kennzeichnen ihn. Wer möchte nicht gerne eine solche Beschreibung auch auf sich beziehen? Vielleicht ist ja Ruth eine Heldin, wie sie sich in den Schweizer Bergen in ungeahnte Höhen hervorwagt und ihren Körper an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit führt. Oder auch Jero, der als Bergführer nicht nur Experte für komplizierte Wege ist, sondern seinen Kunden diese besonderen Erlebnisse erst ermöglicht, die sie in einen Rausch versetzen. Kathrin möchte auch etwas in anderen bewegen und wird mit ihrem Videoblog zu einem Internetstar – warum sollte auch nicht eine Hausfrau von ihrer Veranda aus wichtige Messages in die Welt senden können? Ihr 17-jähriger Sohn Simon belächelt dies etwas, aber er ist auch auf der Suche nach den ganz intensiven Erfahrungen, die er in Hannover sicherlich nicht machen kann. Ruth, Jero, Kathrin, Simon – Alltagshelden oder doch eher größenwahnsinnige Spinner?
Tina Uebels Roman spielt mit der Hybris des modernen Menschen und beleuchtet die Facetten, die uns tagtäglich überall begegnen. Die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, das ausufernde Sendungsbewusstsein und die Jagd nach immer größeren und spektakuläreren Erlebnissen lenken die Figuren nicht nur vom Alltag, sondern von den naheliegenden und den essentiellen Dingen ab. Die Heldenfrage ist schnell geklärt, nicht einmal als tragische Helden taugen die Figuren. Aber ihnen zu folgen hat einen unheimlichen Unterhaltungswert, wenn auch Fremdschämen ein Wort ist, an dem man in diesem Zusammenhang nicht vorbeikommt.
„Mißgriff, denkt Ruth, während Frank sich an ihr festsaugt wie ein Putzerfisch. Aber man muß es positiv sehen, mag sich auch ihr Lustgewinn in überschaubaren Grenzen halten, so lassen sich doch seine Bemühungen möglicherweise als Hygiene verbuchen.“
Ruths Männerbekanntschaften können schon lange nicht mehr den Erwartungen Stand halten, urkomisch mit abgeklärt sarkastischem Ton beschreibt die Autorin die verächtlichen Gedanken, die der Frau so durch den Kopf gehen, während der Mann sich gerade an ihr abmüht. Die zwischenmenschlichen Beziehungen liefern weder auf körperlicher noch auf geistiger Ebene Lust oder andere Gewinne. Erst allein mit sich und der abweisenden Natur kann Ruth so etwas wie Erhabenheit spüren und sich dem Eindruck hingeben, noch etwas ganz Großes zu erleben.
Der stärkste Kontrast besteht sicher zwischen ihr und Kathrin, der Gattin ebenjenes Mannes, für den Ruth nur die Bezeichnung „Putzerfisch“ findet. Kathrin ist nicht nur einem zweifelhaften Guru verfallen – dessen Sendungsbewusstsein ebenfalls nur als ganz großes Kino bezeichnet werden kann – sondern sieht sich mit ihrem Blog als Sprachrohr der Frau von nebenan, mit der man sich austauscht und nett plaudert. Kein Klischee, kein Fettnäpfchen lässt sie aus und erobert gerade damit ihre Followers. So mancher Internetstar lässt einem verwundert die Augen reiben, Kathrin wird geradezu zum Paradebeispiel der Spezies.
„Dann sind wir Helden“ hält uns pointiert den Spiegel vor, indem die Laster der Gegenwart personifiziert auf die Spitze getrieben werden. Natürlich sind sie überzeichnet, was es jedoch leichter macht sie anzunehmen und die eigenen Fehlbarkeiten zu erkennen. Natürlich will niemand so sein und doch steckt zugegebenermaßen ja ein wenig von allen in uns selbst. Den Heldenmythos gnadenlos zurück auf den Boden der Tatsachen geholt – so geht Literatur.
Was für eine Neuentdeckung!
Wedma am 03.03.2021
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Was für eine Neuentdeckung! Tina Uebel habe ich mit diesem Roman kennengelernt. Schon die Leseprobe klang so vielversprechend!
Dieses einzig- und großartige Leseerlebnis möchte ich nicht mehr missen. So gut und so erfrischend anders! Echt, HUT AB!
Allem voran muss man sagen: Diese Geschichte ist grandios, hochgradig gekonnt erzählt: Mit einer guten Prise Ironie, die kraft der messerscharfen Beobachtungen der reifen Persönlichkeit, die hier als Erzählerin fungiert, und einen Kopf- und Herzgenuss bereitet.
Es gibt vier Protagonisten. Jede Figur ist anders, mit ihrer Sich auf die Welt, ihrer Lebensgeschichte, ihren Gedanken, ihrer Art, diese zum Ausdruck zu bringen. So eine Vielfalt trifft man nicht oft. Ein mitteljunger Bergführer in der Schweiz; eine Hausfrau aus der Mitte Deutschlands, die sich durch ihre Vlog Einträge mitteilt; ein junger Mann, ebenfalls von dort, der dann bei den G-20 Krawallen in Hamburg dabei ist (sehr plastisch und zum Greifen nah beschrieben); eine nicht mehr so junge Frau, die wonach auch immer (nach dem Sinn des Lebens? Nach sich selbst?) bei den längeren Wanderungen in den Bergen sucht.
Anfangs hat man den Eindruck, dass all diese Figuren, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird, nichts miteinander zu tun haben. Je weiter der Roman voranschreitet, desto klarer wird es, dass sie doch einander näherstehen, als man zunächst denkt, bis man erkennt, dass dieser Roman eher ein Zusammenschluss mehrerer Geschichten ist, die alle dann zu einer finalen Aussage, die einem keineswegs auf dem silbernen Tablett präsentiert wird, zusammenkommen. DA muss man schon gut mitdenken, was ich für ein sehr gutes Zeichen halte.
Der Klappentext beschreibt die Eckpunkte sehr treffend, vor allem: „…In ihrem neuen Roman folgt Tina Uebel unerschrocken, witzig, sarkastisch, aber auch einfühlsam den Heldengeschichten dieser vier Protagonisten, die einem mit ihren Ängsten und Sehnsüchten schnell ans Herz wachsen. Ungeschoren bleibt hier niemand und nichts ist sicher.“
Die Buchgestaltung fällt hochwertig aus, wohl passend zum Inhalt: Festeinband, Umschlagblatt, angenehme Schriftgröße, helles, gutes Papier. Das Buch liegt schön in der Hand, ist leicht, passt in jede Tasche. Prima als Geschenk, nettes Mitbringsel.
„Dann sind wir Helden“ habe ich sehr gern gelesen. Dieses Werk hat mir einige schöne, erfüllte Lesestunden geschenkt, in denen ich mal auflachen, mal schmunzeln und noch öfter mit-/nachdenken musste. Allesamt sehr gute Zeichen.
Hier ist also eine klare Entscheidung: Lesen. Auch wenn man von der Beschreibung her denkt, dies gehöre nicht zum (typischen) Beuteschema. Gerade dann. Bereichernd wird es allemal.
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In ihrem neuen Roman macht Tina Uebel in knapp gehaltenen Kapiteln die so unterschiedlichen Leben und Unzulänglichkeiten von vier Leuten erlebbar, geschickt gibt sie jedem von ihnen eine passende Sprache.
Neben faszinierenden Charakteren beeindrucken extrem die eindrücklichen Beschreibungen der Schweizer Alpen, das Erklettern derselben.
Ein facettenreicher, klug komponierter und ausdrucksstarker Text - sehr eigen - für den ich etwas Zeit brauchte, um die Zwischentöne gut zu verstehen. Großartige Sprachakrobatik, Kompliment!
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Jeder Satz in diesem Roman macht einen ein bisschen fassungslos, so cool, so lässig, so verspielt und scheinbar mühelos auf den Punkt ist Tina Uebels Sprache. Wie ihre ganz normalen "Helden" sich am Leben versuchen ist wahnsinnig sympathisch, klug und unterhaltsam erzählt und sollte - wie alles von dieser Autorin - unbedingt gelesen werden.
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